Liebe Freunde dieser Theaterkolumne,
kann sich noch jemand an den ehemaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Jung aus der CDU und den ehemaligen Entwicklungsminister Dirk Niebel aus der FDP erinnern? Beide arbeiten heute für den Rüstungskonzern Rheinmetall. Solche Partnerschaften sind deshalb wertvoll, weil die neugewonnenen Kollegen durch ihre alte Tätigkeit als Minister sehr detailliert wissen, wo man auf der Welt Kriegsgerät gebrauchen könnte.
Wo braucht man gerade dringend Panzer? Zum Beispiel in der Türkei. Denn dort wird in den kurdischsprachigen Gebieten ein Krieg geführt. Urlauber – keine Angst – in Alanya, Antalya und Fethiye kriegt man davon nichts mit.
In der Türkei sagt man zum Krieg übrigens nicht Krieg. Man nennt es „Operation“ und begründet die Angriffe damit, dass man Terroristen fangen will. Dafür legt man ganze Städte in Schutt und Asche. Zündet Wälder an. Schiebt den Schutt beiseite, planiert. Die Bewohner werden enteignet, vertrieben. Wenige Meter weiter wird ein neues Dorf mit neuem Namen gegründet, zerlegt, planiert. Ich fasse gerade die letzen dreieinhalb Jahrzehnte zusammen. Anschließend wird neu kartographiert.
Der Konflikt zwischen Kurden und Türken ist ein uraltes Thema. Meistens geht es darum, dass die Kurden nicht von der Türkei mitregiert werden wollen. Gründen sie Parteien, wird ihnen die Immunität abgesprochen, die Parteimitglieder werden inhaftiert. Es folgen noch mehr „Operationen“ gegen Mitglieder und Sympathisanten der PKK. Dazu zählt bereits, wer sich zur „Kurdenfrage“ äußert. Autoren, Künstler, Intellektuelle. Oder die, die einfach nur das kurdische Neujahrsfest Newroz feiern. Also auch uralte Mütterlein und minderjährige Kinder. So war es in der Vergangenheit. So ist auch die Gegenwart.
Was wollen die Kurden?
Eigentlich wollen sie einfach nur Kurden sein. Also kurdisch sprechen dürfen, ihre Kinder in der Sprache unterrichtet wissen. Es gibt auch Kurden, die wollen gar nichts. Die wollen einfach in Ruhe gelassen werden. Man kann sich prinzipiell ja auch etwas Bequemeres vorstellen, als immerfort sein Haus verteidigen zu müssen oder mit einer Flagge in der Hand demonstrieren zu gehen. Es ist übrigens verboten, das Wort „Kurde“ oder „Kurdistan“ zu sagen. Zum mittlerweile trillionsten Mal in der türkischen Geschichte.
Viele Menschen wurden und werden zur Binnenmigration gezwungen. Meistens landen sie in Istanbul, Izmir oder Ankara. Dort guckt die Mittelschicht auf sie herab. Sie werden gebrandmarkt als rückständige Anatolier, die nichts wissen und nichts können. Ist ja auch schwierig, ein schöner, sauberer Mittelschichtler zu werden, wenn einem das Vieh weggenommen wird, das Haus, die Arbeit, das Grundstück.
Was hat das mit Deutschland zu tun?
Die Bundesrepublik war mit Waffenexporten bislang an jeder innerpolitischen Auseinandersetzung in jedem Jahrzehnt ihres Natopartners Türkei finanziell beteiligt. Für Waffenexporte braucht es Genehmigungen der Regierung, was zu peinlichen Situationen führt. Einerseits kritisiert man fehlende Menschenrechtsstandards und Demokratiedefizite. Und andererseits verdient man daran, indem man Munition und schweres Gerät verkauft.
Was aber neu ist, ist die geplante Verlegung des Produktionsstandortes. Wenn man gleich vor Ort im Krisengebiet baut, muss man nicht ständig um Genehmigungen für den Rüstungsexport bitten. Und auch die deutsche Regierung kann weiter empört darüber tun, was sich in der Türkei abspielt.
Das deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall AG plant seine Panzerfabrik an den Standorten Izmir und Istanbul. Der Firmensitz wird in Ankara sein, die Partnerfirma gehört einem Freund des türkischen Präsidenten.
Die offizielle Antwort der Bundesregierung auf diesen Waffendeal fiel knapp aus. Erst wusste man von nichts. Dann erinnerte man sich doch. Und fand, dass es sich bei der Verlegung der deutschen Panzerfirma in die Türkei um eine rein „unternehmerische Entscheidung“ handele.
Man fragt sich, wann endlich politische Entscheidungen getroffen werden. Wann es eine Rolle spielen wird, dass wir uns von einem Partner, der Krieg im eigenen Land führt, die Flüchtlinge abnehmen lassen. In Deutschland wird die Türkeifrage ausschließlich darauf fokussiert, wen der türkische Präsident gerade wieder verhaftet oder beleidigt hat. Ob die EU-Beitrittsverhandlungen abgebrochen werden sollen.
Die Kurdengebiete werden nach und nach vom restlichen Land abgeschnitten. Die wenigen westlichen Journalisten bewegen sich im Wesentlichen fast nur noch in Istanbul. Die Lage in der Osttürkei unterscheidet sich dramatisch von der in der Westtürkei. Beispielsweise in den Gefängnissen. In den Kurdengebieten wird systematisch gefoltert. In den türkischen Gefängnissen, wo Medienvertreter einsitzen, nicht.
Innerpolitisch ist man in der Türkei gerade sehr damit beschäftigt, den 25. September rumzukriegen. An diesem Tag wird in der Autonomen Region Kurdistan ein Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt. Es geht um die Frage, ob Kurdistan – vom Irak unabhängig – ein tatsächlicher eigener Staat wird. Israel ließ übrigens verlautbaren, dass sie ein solches unabhängiges Kurdistan anerkennen würden.
Immer wieder wurde in den letzten Wochen berichtet, dass die Türkei schweres Geschütz an die türkisch-irakische Grenze fahren lässt, weil man befürchtet, dass der Ausgang des nordkurdischen Referendums mit einem mehrheitlichen „Ja“ auf der anderen Seite der Grenze, bei den Kurden in der Türkei zu einer „Aufbruchstimmung“ führen könnte.
Schon erwähnt, dass Deutschland der wichtigste Handelspartner der Türkei ist? Zahlreiche deutsche Unternehmen aus der Elektronikbranche und Automobilindustrie haben Produktionsstandorte in der Türkei. Wenn Sie ein Kundencenter irgendeines deutschen Geschäftszweiges anrufen, landen Sie häufig, ohne es zu wissen, in der Türkei. Deutschland ließ schon ausrichten, dass sie mit einer neuen Grenzziehung, einem Kurdistan in der Türkei, nicht einverstanden wäre. Dann lieber Krieg führen lassen, mitprofitieren und auch sonst immer schön so tun, als sei die Region hinter den sieben Bergen bei den Kurden ein innertürkisches Naherholungsgebiet mit Wild-West-Atmosphäre. Rechnen kann sie ja, unsere Regierung.
An diesem Wochenende wird Deniz 44 Jahre alt. Er verbringt seinen Geburtstag in Silivri. Kein anderer Journalist sitzt in Isolationshaft. Nur er. Zur Erinnerung: Er sitzt dort auch, weil ihn die Kurdenfrage interessierte. Weil ihn die Menschenrechtsfrage in der Türkei beschäftigte. Weil er physisch und auch in seinem Schreiben bis an die Grenzen der Türkei reiste und versuchte herauszufinden, was eigentlich passiert. „Türkei, was da los?“ ist der Kerngedanke seiner Korrespondentenschaft.
Unsere Aufgabe, als Kollegen und Freunde, ist vielleicht, dass wir uns nicht zu sehr auf die Unverschämtheiten, die die türkische Regierung in einer Tour abfeuert, konzentrieren. Sondern über die deutsch-türkischen Waffendeals. Über die 1.000 geplanten Panzer. Wir sollten uns nicht allzu sehr mit der Frage aufhalten, ob Gülenisten in Deutschland Asyl bekommen sollen oder nicht. Denn im Nebenschauplätze-Inszenieren ist der Türkenkönig im karierten Jackett genauso talentiert wie seine Vorgänger. Auch Deniz machte in seinen Artikeln oft darauf aufmerksam, was unterhalb der hysterisch diskutierten Oberfläche ausgehandelt wurde.
Privat schäme ich mich als deutsche Staatsbürgerin natürlich für die deutschen Rüstungsexporte, für die deutsche Bundesregierung. Ich schäme mich für die Geldgier jener, die vom deutschen Minister zum Panzerverkäufer in einem Terrorstaat aufsteigen. Da sind sie wohl abgeblieben, unsere Werte.
Die Spielzeit hat begonnen. Hier wird unermüdlich für den Ernstfall geprobt, nämlich für den Tag, an dem endlich Sandra Maischbergers Talksendung in der ARD abgesetzt wird und die Mitarbeiter und Manager von Rheinmetall AG ihre Arbeit niederlegen und weiße Tauben in den Himmel fliegen lassen.
Deniz Yücels 44. Geburtstag wird diesen Sonntag vor dem Kanzleramt gefeiert
#freedeniz
#freethemall
#KorsoKısırKıyamet
Es grüßt Mely Kiyak
PS: Im Sommer führte ich gemeinsam mit Arno Widmann für die Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung hier im Gorki Theater mit meiner kurdischen Kollegin, der Romanautorin und Lyrikerin Yildiz Cakar, ein Gespräch über das Vertriebensein aus der kurdischen Sprache. Hier können Sie es nachlesen.
Offenlegung der Quellen: Die Informationen für diese Kolumne habe ich unter anderem dem Recherchekollektiv „Correctiv“, „Der Stern“, offiziellen Anfragen von Bundestagsabgeordneten der Partei „Die Linke“ sowie einigen türkischen und kurdischen Quellen entnommen.
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