Aus der Mitte entspringt ein Scheiß

Kiyaks Theaterkolumne
AfD-Vorstand will Höcke rauswerfen! Konnte man als Überschrift vergangene Woche in vielen Medien lesen. Über so etwas habe ich mich früher wirklich kaputt gelacht. Wenn Nazis sich untereinander nicht mehr verstehen, weil einige von ihnen zu sehr nach rechts abdriften, … diesen Satz muss ich nicht wirklich zu Ende ausführen, oder?

Hintergrund der Meldung ist, dass AfD-Landeschef Björn Höcke in Dresden eine Rede hielt, in der er das Holocaust-Mahnmal denunzierte. Die Deutschen seien das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande ins Herz der Hauptstadt gepflanzt habe.

Ich erlaube mir zu korrigieren. Wir haben uns sogar zwei Mahnmale ins Herz der Hauptstadt gepflanzt. Denn neben dem Denkmal für die ermordeten Juden in Europa steht nur weniger Meter entfernt die Gedenkstätte in Erinnerung an die ermordeten Sinti und Roma während der Naziherrschaft.

Es wurden 6 Millionen Juden getötet. Außerdem Sinti, Roma, Behinderte, Homosexuelle, sogenannte Asoziale und Oppositionelle. Anzahl und Größe der Denkmäler wirken im Angesicht dieser Opferzahlen doch recht bescheiden.

Nun tut die AfD-Spitze so, als wäre das Maß mit Höckes Bemerkung voll. Was natürlich Blödsinn ist. Das Maß ist nicht voll. Aber Frauke Petry hat angesichts von Höckes Popularität Todesängste. Wenn der rechtsextreme Flügel den Laden übernimmt, werden die gemäßigten Rechtsradikalen wie Petry und ihr Ehemann Markus Pretzell entmachtet. Petry und Pretzell (zur Clique gehören noch Armin Hampel und Beatrix von Storch) wollen als eine Art tweedpiefige CDU wahrgenommen werden. Der rechtsextreme Teil der AfD, genannt Flügel, will hingegen etwas total anderes.

Konservatismus, Liberalismus, alles wurscht, „über allem steht Deutschland“, wie es Hans Thomas Tillschneider, der zum Flügel gehört, in einer Rede formulierte:
Unsere Gesinnung gehört zu dem, was wir ablegen können. Deutsche sind wir aber nicht von der Gesinnung her, Deutsche sind wir und wir geben die Einheit der Nation für keinen Gesinnungsstreit dieser Welt preis.

In diesen Sätzen steckt bereits das ganze Konzept und dieses Konzept lässt parteipolitischen Streit über Ausrichtungen und Nuancen nicht zu. Wenn über allem Deutschland steht, dann muss das Deutsche natürlich in schönem Glanze strahlen und mit Holocaust-Mahnmalen kriegste diesen Glow nicht hin.

Wenn die Petry nun ihre Betroffenheit angesichts der Höckeschen Rede zum Ausdruck bringt, dann ist das deshalb verlogen, weil sie vor ziemlich genau einem Jahr fast selber rausgeflogen wäre. Mit roten Bäckchen schlug sie aufgeregt ob ihrer originellen Idee vor, dass man die Flüchtlinge doch auch einfach erschießen könne.

Flüchtlinge erschießen, das war sogar der NPD zu fett. Jürgen Schützinger, damaliger Landeschef der NPD in Baden-Württemberg war entsetzt und erschrocken und distanzierte sich von der AfD. Er veröffentlichte eine Stellungnahme, in der die NPD von „diesem obskuren Ansinnen“ Abstand nahm, denn das Erschießen von Flüchtlingen entspräche nicht dem „nationaldemokratischen Humanitätsbild“.

Man muss die NPD wirklich in Schutz nehmen. Sie war stets dafür, dass Ausländer rausfliegen, aber auf fliegenden Teppichen. So konnte man es auf den Plakaten sehen. Die abgeschobenen schnauzbärtigen Passagiere saßen ordentlich auf Teppichen und flogen hoch in die Lüfte. Auf anderen Plakaten las man als Wahlversprechen „Gas geben“. Bei Erschießen hört die nationaldemokratische Humanität aber wirklich auf.

Frauke Petry musste um ihr politisches Überleben kämpfen und bekam Beistand von Beatrix von Storch. Als der Druck zu groß wurde, ruderten beide zurück. Petry sagte, sie habe nie von Erschießen gesprochen, sondern lediglich vom Schusswaffengebrauch. Von Storch wiederum war unglücklich auf der Computermaus ausgerutscht. Dann kam die Idee, das Wort „völkisch“ zu rehabilitieren. Und so weiter und so fort…

Ich lache nicht mehr. Über nichts von alledem. Ich frage mich, wann der richtige Zeitpunkt für Widerstand ist. In jeder Gesellschaft gibt es einen Punkt, an dem Umkehr nicht mehr möglich ist. Wenn jetzt schon innerhalb einer rechtsextremen Partei darüber gestritten wird, ob einer rausfliegt, weil er inakzeptabel ist und ein Großteil der Medien darüber diskutiert, ob dieser Eine problematisch ist, dann stimmt etwas nicht. Denn dann ist man auf diese Spielchen reingefallen.

Ich habe keine Lust mehr mir Gedanken darüber zu machen, ob die AfD in Teilen nationalkonservativ oder –liberal, rechtsextrem oder lediglich rechtspopulistisch ist. Auch die Frage, ob nun alle oder nur ein Teil der Anhänger rechtsextrem sind ist unerheblich. Waren alle NSDAP-Mitglieder mit dem gesamten Programm einverstanden? Gab es nicht auch in der SS Männer, die Skrupel hatten? Spielt das eine Rolle? Ich denke nicht.

Die AfD ist nationalistisch und faschistisch. Vor drei Jahren hatte sie ihren Gründungsparteitag. Es gibt aus dieser Zeit AfD-Papiere aus Bayern und Berlin, in denen die Partei versichert, weder rechts noch links zu sein, sich weder gegen Minderheiten noch Homosexuelle zu wenden und dass sie Antisemitismus ablehne.

Drei Jahre ist das her, seitdem sind wir jeden Tag damit beschäftigt, wie Detektive Quellen und Originalzitate zu veröffentlichen, die das Gegenteil beweisen. Seit über 1000 Tagen am Stück machen wir Publizisten kaum noch etwas anderes.

Wenn ich in mein privates Umfeld gucke, die Künstlerkollegen, Schriftsteller, die Leute, mit denen ich zu tun habe, sie sind alle müde von diesem Mist. Sie leben in der Hoffnung, dass alles vorübergehen wird. Doch wir alle wissen, das wird es nicht. Nicht so lange wir Deutsche – Deutsche nicht im Sinne von diesem oben erwähnten Hans Thomas Tillschneider, sondern Deutsche im Sinne des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland – uns nicht auseinander setzen mit uns.

Wenn ein Land die Welt in Schutt und Asche legt und Millionen Menschen in Öfen steckt und diese Vorgänge aufarbeitet, wirklich aufarbeitet, akribisch, pedantisch, bis ins letzte Detail und keine paar Jahrzehnte später wieder gegen diesen alten Müll kämpft, dann stimmt doch was in unserer Struktur nicht. In der Art, wie wir miteinander leben, wie wir sprechen, wie und worüber wir streiten.

Aus unserer Mitte ist dieser Scheiß entsprungen. Nicht von außen, nicht von den Rändern, nicht gesteuert aus dem Ausland. Ausgerechnet aus unserer deutschen Mitte! Waren die Mahnmale doch zu mickrig? Waren doch nicht alle mit dem Herzen dabei, als gedacht, erinnert und geweint wurde? Oder ist das einfach so? Dass egal wie monströs die Vergangenheit einmal war, eine Zeit kommt, in der das egal wird? Egal werden muss, um einfach wieder beginnen zu können. Darüber würde ich gerne mehr reden, schreiben, doch vor allem nachdenken.

Ihre Mely Kiyak

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