Die schleswig-holsteinische CDU hat in einem Antrag die Landesregierung aufgefordert, dass „Schweinefleisch auch weiterhin im Nahrungsmittelangebot sowohl öffentlicher Kantinen als auch in Kitas und Schulen erhalten bleibt“. Natürlich denkt man als Erstes, na klar, Schleswig-Holstein ist ein Mega- Schweinefleischproduzent. Man will Arbeitsplätze sichern. Die Begründung lautet aber anders:
„Immer mehr Kantinen nehmen Schweinefleisch aus ihrem Angebot, um auf religiöse Gebräuche Rücksicht zu nehmen“.
Außerdem habe man in jedem Wahlkreis aus mindestens einer Kita gehört, dass diese aus Rücksicht auf Muslime Schweinefleisch aus dem Angebot genommen hätten.
Im Antrag der CDU-Fraktion heißt es:
„Der Minderheitenschutz – auch aus religiösen Gründen – darf nicht dazu führen, dass eine Mehrheit aus falsch verstandener Rücksichtnahme in ihrer freien Entscheidung überstimmt wird. Toleranz bedeutet in einer pluralistischen Gesellschaft auch die Anerkennung und Duldung anderer Esskulturen und Lebensweisen.“
„Falsch verstandene Rücksichtnahme“ ist in diesem Zusammenhang ein seltsamer Begriff, mit dem auch CDU-Fraktionschef Daniel Günther in den Lübecker Nachrichten zitiert wird.
Man bleibt immer wieder an dieser Stelle hängen. Falsch verstandene Rücksicht? Was soll das sein? Was wurde falsch verstanden? Oder meint man, dass man den Falschen gegenüber rücksichtsvoll war? Ist „falsch verstandene Rücksicht“ womöglich nur eine elegante Formulierung für die Haltung: Rücksicht ja, aber keinesfalls für Muslime? Warum? Keine Ahnung. Es gibt Dinge, die sind schwer nachzuvollziehen. Wie so oft, wenn es um Muslime geht. Ich meine, ergab es Sinn nach Afghanistan einzumarschieren und Krieg zu führen, weil vier Attentäter aus Saudi-Arabien, Libanon und Ägypten ein Attentat auf die Amerikaner ausübten, weil der mutmaßliche Drahtzieher der Aktion mutmaßlich in Afghanistan weilte? Man kann in dieser Dekade der kolossalen Verstimmung gegenüber Muslimen nicht alles verstehen.
Es gibt offenbar Politiker, die die Weigerung von Muslimen, Mettbrötchen zu essen als eine Einführung der Fatwa durch die Hintertür betrachten. Als ersten Schritt zur Scharia. Ist das „falsch verstandene Rücksicht“? Was aber wäre „richtig verstandene Rücksicht“? Vielleicht zu tolerieren, dass Juden auch kein Schweinefleisch essen? Nach dem Motto: Koscher, gut. Halal, schlecht.
Nahezu alle Deutschen orientalischer und sowjetischer Herkunft, die ich kenne, essen kein Schweinefleisch. Keiner von ihnen ist religiös. Manche haben muslimische Eltern, manche jüdische, manche sind Bahai, Yesiden, Aleviten, Alawiten und so weiter. Aber wie gesagt, niemand von denen betet in einem Gotteshaus. Die Esskultur von Völkern ist nicht nur eine Folge von Religion, sondern auch von Klima und anderen Faktoren. Sagt ja schon der Name. Es handelt sich um Kultur und Gewohnheit. Sie beizubehalten halte ich für in Ordnung. Ich wurde mit selbstgekochtem Essen versorgt. Von Eltern, die Vollzeit arbeiteten. Selbst moderne Angelegenheiten der pluralistischen Gesellschaft wie Tomatenmark aus der Tube und Joghurt aus dem Plastikpott wurden abgelehnt und stattdessen selber hergestellt. Ich lebe und ernähre mich in weiten Teilen so, wie ich es kennengelernt habe. So gesehen verweigere ich mich der Ernährungsindustrie und der deutschen Esskultur sowieso.
Alles, was ich esse oder nicht, die Art, wie ich mich pflege, die Art, wie ich mein Leben verbringe, ist Teil meiner Kultur. Eine Kultur zu haben ist etwas sehr normales. Eine Tradition zu pflegen geht in Ordnung. Ich bin in einer Gegend in Deutschland zur Schule gegangen, in der man auf Festen traditionell maßlos beim Schweinefleisch zulangt und sich parallel dazu maßlos betrinkt. Nach einer gewissen Überschreitung der Promillegrenze langen sich dann alle gegenseitig in den Schritt. Mir war das immer egal. Aber in 100 Jahren werde ich nicht Teil dieser Kultur. Von mir aus kann diese, mir fremde Kultur bestehen bleiben. Tut sie in weiten Teilen auch. Im ICE gibt es fast nur Schweinefleischgerichte. Auf die Trinkgewohnheiten der alkoholfreudigen Reisenden wird Rücksicht genommen und deshalb Bier, Wein und Schnaps ausgeschenkt. Auf meine Ernährungskultur wird weitestgehend nicht Rücksicht genommen. Ayran sucht man vergeblich und wenn ich einen Salat bestelle, gibt es immer nur komische, dicke Saucen aus der Tüte. Sauerkraut und Currywurst erachte ich als Reisemahlzeit für eine grobe Verirrung. Mir tun auch die Deutsch-Asiaten leid. Selbst in feinen Hotels und in Zügen sehe ich manchmal, wie sie umständlich selbstmitgebrachte Suppen aufbrühen und Mangos schälen.
Für Muslime zu kochen macht Spaß. Für Juden zu kochen macht noch mehr Spaß. Für Hindus zu kochen ist ein herrlicher Spaß. Für Vegetarier zu kochen ist ein Riesenspaß. Der allergrößte Spaß ist es, für Veganer zu kochen. Für Glutenunverträgliche und Laktoseintolerante zu kochen ist die Pest. Irgendwo hört’s nämlich auch mal auf!
Was die Schweinefleischangelegenheit aus Kiel betrifft, kann ich nur empfehlen: Wenn ihr es macht, macht es richtig! Macht das Schweineessen zur Leitkultur. Nehmt einen Absatz zum Schweinefleisch ins Grundgesetz auf. Und lasst in Zukunft im Kieler Landtag nicht mehr auf die Bibel schwören, sondern auf ein ordentliches Kotelett. Keine Ahnung, ob es sich um richtig oder falsch verstandene Rücksicht handelt, aber das ist wohl egal. Es geht ja doch immer nur darum, dass die Muslime gefälligst sehen sollen, wo der Schweinebraten hängt, vallah.
Mely Kiyak
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