Wir lieben FlixBus!

Liebes Theaterkolumnendorf,

vor sehr langer Zeit, ich kann mich fast gar nicht mehr daran erinnern, wie es zustande kam, unterschrieb ich beim Münchener Carl Hanser Verlag einen Vertrag. Neben einem weiteren Buch, das in der Zwischenzeit schon erschien und Frausein heißt, wollten sie außerdem die Theaterkolumnen, die ich im Auftrag des Berliner Gorki Theaters schrieb, als Buch verlegen.

Ich wäre selbst nie auf die Idee gekommen, das zu wollen oder anzustreben. Fand dann aber, dass es für die kleine, eher intime Zwiesprache zwischen der Kolumnengemeinde und mir eine große Ehre ist, dass der feine holzvertäfelte Hanser Verlag sich für diese Texte interessiert. Den erlesenen Verlag, so hörte ich, darf man wie alte französische Schlösser nur in Filzpantoffeln betreten, die Bücherregale sind aus den Vorderzähnen von Mardern und Dachsen geschliffen. Da die Welt der Bücher eine ganz eigene Zeitrechnung hat und zwischen Vereinbarung und Buch oft Jahre vergehen, unterzeichnete ich den Vertrag, gab das Geld aus und vergaß die Sache gründlich.

Doch eines Tages rief der Verleger mich an. Wie ein Schutzgelderpresser erinnerte er mich mit heiserer Stimme an meine Buchschuld. Ich sagte: »Verleger, ich weiß von dieser alten Vereinbarung, aber wenn Sie mir in diesem Leben noch einen Gefallen tun möchten, dann entlassen Sie mich aus der Sache, denn ich bin, wie Sie wissen, gerade sehr am Arsch.« Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich für ein Buch nicht erfrischt genug. Der Verleger blieb völlig ungerührt und sagte, »Gerade, wenn man am Arschesten ist, könnte ein schnuckeliger kleiner Band mit Deutschlandansichten das Gemüt erheitern. Betrachten Sie es als letzten Blick zurück, bevor Sie ins Licht gehen.«

Dann machte er noch etwas, auf das ich nur deshalb reinfiel, weil ich so schwach und bedürftig war. Er sagte, »Als Ihr Verlag, der Sie von der Wiege bis zur Bahre begleiten wird, sind wir natürlich da und halten den Stift, wo wir können.« Wie ein Heiratsschwindler log er mir das Blaue vom Himmel runter. Er werde helfen, die Kolumnen zusammenzustellen, lektorieren, stenografieren, die Kartoffeln für den Stempeldruck schälen und die Seiten bedrucken, alles, wirklich alles werde er machen. Im Prinzip müsse ich nur noch die Seitenzahlen an den Rand schreiben. Er sagte: »Das wird toll, das wird schön, das wird herrlich«, und als verspräche er mir ein Hochzeitskleid von Kaviar Gauche, sagte er noch, »Ich spendiere Leinen. Leinen!!« Die Buchbranche steckt gerade nicht nur in einer massiven Papierbeschaffungskrise, es gibt auch Hanf- und Flachsmangel. Der Preis für Leinenumschläge liegt gerade bei achtzehn Millionen Dollar den Quadratmillimeter. Schier niedergemalmt von so viel »Nur für Sie reise ich jetzt nach Lettland und pflücke das Flachs mit den Zähnen«-Lügerei stimmte ich erschöpft zu und wartete auf das Manuskript, das ich angeblich nur noch durchnummerieren sollte.

Ich kürze es ab. Am Ende saß ich monatelang alleine über dem Text und brütete und grübelte, wie man es alles am besten anstellt. Ich kramte für das Buch einige wenige Theatertexte aus dem riesigen Fundus hervor, kürzte oder schrieb sie im Prinzip neu. Denn stellt man es nicht richtig an, wirken alte Kolumnen wie aus der Zeit gefallen und lieblos aufgehoben und abgedruckt. Ich aktualisierte und erneuerte, ich ließ keinen Satz auf dem anderen, und damit das Ganze sich für die Leser auch lohnt, umrahmte ich den Kolumnenteil von Mely Kiyak mit einem barocken Vorwort von Mely Kiyak und einem prächtigen Nachwort von Mely Kiyak. Ich machte das Buch so, wie ich es gerne lesen würde, wäre ich ein mir gewogener Leser.

Die Arbeit war getan, ich rief in München an und sagte, »Alles fertig, Verleger!« und fragte, »Wie betiteln wir das Ganze?«. Nach einigem Hin und Her beschlossen wir, den Band Werden sie uns mit FlixBus deportieren? zu nennen. So hieß die Überschrift einer viel beachteten und gern gelesenen Kolumne, die ich auch ins Buch aufnahm (hier nachzulesen).

Der Text handelt von einer Plauderei zwischen mir und dem Schauspieler Memo, wo wir die Frage erörtern, mit welchem Unternehmen man uns im Falle einer Deportation transportieren würde. Eine Dystopie, klar, aber nicht aus der Luft gegriffen. Es war die Zeit, als die AfD jede Woche neue Ideen entwickelte, darüber, was mit Leuten »wie uns« geschehen solle. Eine andere Kolumne hieß damals »Erschießen. Oder Vergasen. Egal«, ein wörtliches Zitat eines AfD-Politikers über dessen politische Vision. Ich schrieb in all den Jahren immer wieder über die AfD, weil Kolumnen wie Polaroidschnappschüsse der Gegenwart sind, und so war nun mal die Zeit.

Der Verleger hielt das Versprechen. Das Buch sollte einen wunderschönen, hoffnungsfrohen grünen Leineneinband erhalten. Außerdem ein typographisches Cover mit leicht geschwungener Schrift, um den Charakter der Texte zu unterstreichen: Schabernack auf höchstem literarischen und politischen Niveau. Das M vom Autorennamen Mely war angeschnörkelt und das F von FlixBus auch. Alles war beschlossen, ausdiskutiert und ich sehr froh, meine Schuld abgetragen zu haben.

Keine zwei Minuten war die Buchankündigung über das in grünes Leinen gebundene Büchlein Werden sie uns mit FlixBus deportieren? auf der Homepage des Verlages online, rief mich der Verleger an. Ich wusste es schon, bevor er es sagte. Er, der gewöhnlich immer erst mit »Kiyak!« begann und dann einatmete, machte es dieses Mal umgekehrt. Erst schnaufte er und sagte dann »Kiyak!« – und ich wusste: FlixBus macht Stress.

Die FlixBus Mobility Company hatte sich über eine Riesenkanzlei gemeldet. Sie verlangten von mir, der Autorin, und nicht, wie in solchen Fällen üblich, dem Verlag, das Wort »FlixBus« im Titel, den ich »aus reiner Provokation« gewählt haben soll, nicht mehr zu verwenden. Drohungen wurden ausgesprochen und eine sechsstellige Summe genannt. Ich sollte sofort alles unterschreiben und unterlassen. Keine Fristverlängerung, keine Zeit nachzudenken, nichts – schließlich handele es sich um eine »klare Sach- und Rechtslage«.

Ich sagte, »Verleger, das Einzige, das ich dieser Kanzlei und dem millionenschweren Unternehmen versprechen kann, ist, dass ich niemals FlixBus fahren werde. Wäre das ein Kompromiss?« Natürlich ging mir auch durch den Kopf, dass ich die FlixBus-Kolumne, die ja schon Jahre zuvor geschrieben und erschienen war und im Netz hoch- und runtergeteilt wurde, nachträglich umändern könnte in »Werden sie uns mit Uber deportieren?«. Aber würde dann als nächstes Uber vor der Tür stehen und mir die Pistole auf die schwache Brust drücken?

Ich sagte: »Verleger, machen wir eine Win-Win-Sache daraus, bieten wir einen Deal an! FlixBus kauft uns 60.000 günstig bedruckte Bordexemplare ohne Leinen ab und wir schenken ihnen aufblasbare Nackennudeln mit dem Hanser Verlagslogo oben drauf. Beides zusammen liegt im Gepäcknetz der Reisenden und verwöhnt sie während der Fahrt.«

Der feine Münchener Hanser Verlag, der mit Anwälten eigentlich nur dann Kontakt hat, wenn es darum geht, den Bestsellerautoren die Millionen Euro an Übersetzungsrechten und Filmlizenzen zu überweisen, war gezwungen, eine sauteure Kanzlei zu engagieren, und ein wochen-, vielleicht auch monatelanger Briefwechsel begann. Ständig flatterte ein weiteres Fax von der Kanzlei rein und irgendwann dachte ich, verdammt nochmal, warum beschwert sich eigentlich nicht die Bahn? Die könnte angesichts meines Buchtitels doch viel beleidigter sein. Immerhin war es doch die Deutsche Reichsbahn, die zu ihren Spitzenzeiten trotz Wind und Wetter pünktlich und zuverlässig deportiert hatte.

Wir schrieben den Anwälten, dass die Kolumnen als Gegenwartsliteratur erscheinen, Betonung auf Literatur, und nicht im Sachbuch-Sortiment. Wir erklärten, dass es sich um einen Theaterkontext handelt. Wir wiesen auf das Fragezeichen im Titel hin. Wir erörterten die Begriffe, Freiheit, Demokratie, Kunst und Meinung, erklärten den Unterschied zwischen Satire, Herabsetzung und Provokation. Wir erzählten, dass das Deutschland einer Mely und eines Memo niemals das gleiche Deutschland ist wie das der Juristen aus einer Münchener Topkanzlei, die international agieren und einem im ersten Kennenlernbrief die Summe von 150.000 Euro wie eine Ohrfeige ins Gesicht ballern. Wir wiesen darauf hin, dass hier offenbar in unterschiedlichen Währungen gerechnet wird. Die eine Seite rechnet in Dollars auf dem Konto, die Gegenseite hat nur Wortschatz. Wir bewiesen, dass unser grünes Leinen das Grün eines zarten Krokusstengels grüßt und nicht das Virengrün des Busunternehmens meint.

Am Ende schrumpfte die Drohung des Busunternehmens angesichts der vermeintlich so glasklaren Rechts- und Sachlage zu einem außergerichtlich formulierten, freundlich kleinlauten Bitten, ob wir nicht wenigstens das B im FlixBus etwas kleiner gestalten und das Grün weglassen könnten.

Wir sind Schriftsteller, wir sind Menschenfreunde. Natürlich können wir. Uns leitet die Lust an Einigung und der Glaube an Frieden, Versöhnung und Freundschaft. Selbstverständlich ließ sich der Verlag nicht lumpen und machte das B im FlixBus einen Hauch kleiner. Es ist nun ungefähr so groß wie das K im Autorennamen Kiyak. Wir bewegen uns hier im Bereich der Juristerei, da werden auch schonmal Millimeterlineale angelegt, so fein skaliert, dass man winzigste Korinthen damit nachmessen kann. Na klar hätten wir auch mit der Bahn bis Den Haag fahren und die Sache dort entscheiden lassen können. Aber wozu? Für uns ist FlixBus nicht der Feind. Es ist das Transportmittel der kleinen Leute. Meiner Leute. In den Bussen sitzen unsere Tanten und Onkels mit Köfte im Gepäck und Wasser in den Beinen. Wir lieben FlixBus!

Das Buch hat nun orangefarbenes Leinen. Es ist ausdrücklich nicht das FlixBus-Orange! Es ist das Orange eines Firstclass-Fluges nach Italien, es erinnert an Bergamottenmarmelade, bei untergehender Sonne meint man reife Pfirsiche riechen zu können. Ein total anderes Orange, juristisch komplett unanfechtbar.

Zum Schluß dieser schamlosen Werbekolumne in eigener Sache noch dies: Die Theaterkolumnen zu schreiben bedeutet gelegentlich Ärger, manchmal große Aufregung, aber immer großen Spaß. Ich danke der Intendantin Shermin Langhoff, die mich ans Haus holte und deren Idee es war, dass ich fürs Gorki schreibe. Ich danke meinem Verleger Jo Lendle, der bereit war, mit mir gemeinsam für den Buchtitel in den Knast zu gehen. Ich danke meiner Agentin Franziska Günther, die mir versprach, einen Kuchen mit Feile ins Gefängnis zu schicken und an der nächsten Ecke ein Fluchtfahrzeug (kein FlixBus!) bereitzustellen.

Ich danke meinen Freundinnen und Freunden aus dem Theater, mit denen ich in den vergangenen Jahren diese Theaterkolumnen zustande brachte und weiterhin bringe. Deniz, Xenia, Patrick, Lutz, Ludwig, Majo und Caro.

Verschmitzte, belesene, kluge und großzügige Menschen sind das!

Nächsten Dienstag, am 29. März um 20 Uhr feiert mein Theater die Premiere des Buches Werden sie uns mit FlixBus deportieren? und streamt die Veranstaltung live auf YouTube. Ich weiß selbst nicht, was geschehen und gelesen wird, werde aber im Seidenpyjama von meiner häuslichen Chaiselongue aus zeitweise in das Theater zugeschaltet. Wie gerne wäre ich physisch anwesend, aber für mein Immunsystem ist es noch zu früh. Ein PCR-getestetes Videoteam wird mich zu Hause besuchen und mir dabei helfen, die Theaterkollegen auf der Bühne wie auch das Publikum im Theaterraum zu sehen – und umgekehrt.

Bis Dienstag im Theaterraum beziehungsweise im Livestream – oder in der nächsten Theaterkolumne, grüßt herzlich,

Ihre Mely Kiyak

P.S.: Danke für die ungewöhnlich viele und freundliche Leserpost. Alles angekommen, alles gelesen sehr gefreut!

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Mely Kiyaks Theater Kolumne gibt es seit 2013. Alle 14 Tage kommentiert die Schriftstellerin und Publizistin Mely Kiyak radikal unabhängig das Weltgeschehen. Die Kolumne kann man auch mit dem 
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