Als Frank Schirrmacher vergangene Woche verstarb, konnte man förmlich spüren, wie die Presse für einen Moment schockstarr wurde. Ist ja auch ein Schock, wenn einer mit 54 Jahren verstirbt. An Herzversagen. Poetisches Wort, oder? Herzversagen.
Ich verabscheue den Tod. Weil, wenn jemand stirbt, ist das eine Niederlage für das Leben. Als gesellschaftspolitische Maßnahme gegen Überbevölkerung hingegen akzeptiere ich den Tod, denn kein anderes Ereignis in der Schöpfung ist wahrlich so demokratisch verteilt, wie der Tod – es trifft wirklich jeden. Jeden Menschen, jedes Tier, jeden Grashalm.
Es dauerte nur einen Tag und alle bedeutenden Herausgeber, Journalisten, Publizisten, Autoren, Minister und Politiker verfassten Nachrufe oder bekundeten Beileid in den sozialen Netzwerken. Und natürlich wurde Schirrmacher in den Nachrufen stets als bedeutender, ach was als bedeutendster Journalist des Landes beschrieben. Und natürlich gewinnt jeder, der auf solch eine Person einen Nachruf schreiben soll, selber immens an Bedeutung. Warum werden nicht Weggefährten, Eltern, die eigenen Kinder oder die Nachbarn um Nachrufe gebeten, die unter Umständen etwas erzählen könnten, was noch unbekannt ist? Vielleicht ist der Tod in den Augen mancher, so unerhört, so heilig, vielleicht soll der Tod so weit weg wie möglich sein, und deshalb kann das Podest, auf das der Verstorbene gehoben werden soll samt seines Heraufhebers, pardon, Herausgebers nicht hoch genug sein.
Bei manchen Nachrufen musste ich mild und nachsichtig lächeln. Stefan Aust, früherer Chefredakteur des Magazins Der Spiegel, schrieb in der FAZ in seinem Nachruf über Schirrmacher:
Vorletzte Woche, am Rande einer Kunstausstellung, löcherte er mich mit Fragen nach der Verwicklung von V-Leuten des Verfassungsschutzes in die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“.
Mit anderen Worten: Ich, Stefan Aust, weiß viel Interessantes zu berichten und Schirrmacher hat mich dazu gelöchert.
Aust schrieb auch das:
Ich habe ihn 1990, kurz nach dem Fall der Mauer, zum ersten Mal getroffen. Er sprach mich an auf einen Satz, den ich in der Nacht des 9. November in einem Fernsehkommentar gesagt hatte, nämlich, das sei der Tag gewesen, „an dem der Zweite Weltkrieg zu Ende ging“. Er konnte sich begeistern, für das, was andere dachten.
Mit anderen Worten, ich, Stefan Aust, bin ein kluger und begeisterungsfähiger Mensch.
Na gut, ich höre auf mit der Zitiererei. Mir wird ohnehin immer vorgeworfen, ich würde ständig alles lächerlich machen, was natürlich nicht stimmt. Nicht, dass ich sterbe und es heißt in den Nachrufen:
Mely Kiyak – eine Lächerlichmacherin ist von uns gegangen
Ich mache nichts lächerlich. Ich krame einfach hier und da hervor, was jedermann las und wiederhole es. Wenn es eine Wirkung erzielt, dann kann ich auch nichts dafür. Im Gegenteil, man sollte mich loben.
Mely Kiyak – sie war einer begnadete Herauskramerin
Der stellvertretende Chefredakteur der WELT-Gruppe, Ulf Poschardt schrieb über Schirrmachers Tod auf Twitter:
RIP FRANK SCHIRRMACHER
Wenn es stimmt, dass Schirrmacher so ein glänzender Schreiber war, hätte er dann nicht glänzendere Worte verdient, als ein joviales, man sieht förmlich, wie begleitend zum Ausspruch die Finger zu einem Victoryzeichen geformt werden, in die anonyme Öffentlichkeit hineingeworfenes RIP ?
Das sieht man ja häufig, dass Leute nach Bekanntwerden eines Todesfalls die Abkürzung des aus dem religiösen Kontext entnommenen „requiescat in pace“ , übersetzt „rest in peace“ vertwittern und verfacebooken.
Ich würde durchdrehen, stürbe ich und könnte von oben zusehen, wie mir ein allgemeines RIP, vielleicht sogar mit High-Five-Abklatschen unter Hinterbliebenen hinterher geworfen werden würde. Aber gut, ich bin ja auch nicht Schirrmacher. Schirrmacher und ich verhalten uns zueinander wie der Papst zu einem Dorfpfarrer aus der Mark Brandenburg.
Wenn ich sterbe und „unsere Leute“ das Gorkitheater noch in ihrer Geiselhaft haben, kriege ich bestimmt einen Gedenkabend im Gorki Studio. Wo Schauspieler (die sich gerade nicht in „Endproben“ oder Gastspielen befinden) meine Texte lesen. Dabei wäre mir lieber, dass alle meine Freunde und Journalistenkollegen (die sich gerade nicht auf Recherchereise oder Vätermonaten befinden) in meinem Angedenken Grillhähnchen essen gehen (regionale Hähnchen vom Kotti), sich dafür natürlich unter dem Kreuzberg Zentrum treffen und dass jemand meine Lieblingswitze rezitiert. Die, über die nur ich lachen konnte und sonst niemand.
Was mir noch bei diesen ganzen Nachrufen auf Schirrmacher aufgefallen ist?
Dass es sich bei nahezu allen Autoren um vermögende Männer eines gewissen Alters handelte, die einen aus ihrer Mitte betrauern. Es qualmte in den Nachrufen nur so von Zigarrenrauch, es roch nach Whiskey und die schweren Ledersofas quietschten. Bis auf Iris Radisch von der ZEIT und Anke Domscheidt-Berg, Netzaktivistin und Autorin, las ich keine Nachrufe von Frauen und sowieso niemanden mit nichtdeutschen Eltern. Kannte dieser bedeutendste Journalist und Denker und brillante Intellektuelle und großer Geist dieser Republik denn nur reiche Männer auf den Chefstühlen der Zeitungen sitzend?
Wenn ich Ressortleiter wäre, würde ich sofort die Rubrik einführen: „Putzfrauen schreiben Nachrufe auf ihre Dienstherren und Dienstfrauen.“ Daran, wie sich der Ranghöhere gegenüber dem Rangniedrigeren verhält, sieht man die Beschaffenheit eines Menschen. Dass Mächtige übereinander nur Gutes berichten können ist klar, oder?
Wäre ich eine Maus, wünschte ich mir, dass mein Nachruf mit folgenden Worten endet:
Rest In Cheese.
Bin aber keine Maus.
Also: Tschüss.