Sehr geehrtes Theaterkolumnenpublikum,
die Methode mit angeklebtem Schnauzbart und Perücke die Demokratie zu retten, war bislang die wirkungsvollste Form des Widerstands gegen den Faschismus der vergangenen Jahrzehnte. Wirkungsvoller als sämtliche Warnungen, Mahnungen und offene Briefe. Die CORRECTIV-Recherche »Geheimplan gegen Deutschland«, die enthüllte, dass sogenannte brave Bürger Deportationen planten, hat bislang 3 Millionen Menschen zu Demonstrationen in ganz Deutschland mobilisiert.
Am 19. März war das Rechercheteam CORRECTIV zu Gast in meiner Reihe Mely Kiyak hat Kunst. Gemeinsam mit Anette Dowideit, der stellvertretenden Chefredakteurin, und dem Reporter Jean Peters (ehemals Peng!-Kollektiv), sprachen wir über das Verschwimmen der Grenzen zwischen investigativer Inszenierung und theatralem Journalismus mit den Mitteln der Kostümierung und Dramatisierung.
Es war ein wirklich herrlicher Abend. Klug, gewitzt, lehrreich. Bedenkt man, wo Anette und Jean ihre beruflichen Karrieren starteten und wo sie gelandet sind, muss man ihnen eine beeindruckende Entwicklung attestieren. Anette Dowideit war ein halbes Berufsleben lang bei Springers Die Welt, bevor sie zu CORRECTIV wechselte. Jean wiederum hatte eine Clownschule (die berühmte Torte in Beatrix von Storchs Gesicht hatte er geworfen) absolviert und war danach eine ganze Weile Mitglied in der Redaktion von Jan Böhmermanns Satiresendung gewesen. Heute kostümiert er sich bei CORRECTIV, um Faschisten und ihre fantasievollen Pläne zu entlarven.
Wir zeigten am Abend – unter großem Gelächter – Fotos von Jean Peters Verkleidung als Businesstyp, der im Adlon-Hotel bei Potsdam ein paar Tage zum Ausspannen verbrachte. Er erzählte uns eindrücklich von seinem Weekender, dem seiner Meinung nach wichtigstem Utensil, um unter den wohlhabenden Hotelgästen nicht als mittelmäßig bezahlter Investigativreporter aufzufallen. Anschließend versprach Jean sogar, mir seinen Weekender zu schenken. Ich hatte die Idee, ihn als Leihgabe dem Deutschen Historischen Museum zu geben, aber angesichts der europäischen Wahlergebnisse könnte ich diese Tasche bald schon als Reisegepäck selber dringend brauchen.
Wenn Sie diese und andere Veranstaltungen in dieser Reihe nachstöbern möchten, klicken Sie hier: kunst.gorki.de
Nun präsentiere ich Ihnen meine Eröffnungsrede der 2. Ausgabe von Mely Kiyak hat Kunst.
Viel Vergnügen beim Lesen!
Erinnerung ist Widerstand
Was, liebes Publikum, ist eigentlich der Unterschied zwischen politischer Kunst und Kunst? Letztes Mal sprach ich an dieser Stelle über den unbedingten Willen des Künstlers, der Künstlerin, sich jeglicher Konkretmachung zu verweigern. Die unpolitischen Künstler wollen weder für andere sprechen, noch sich in bestehende Diskurse einreihen. Die politische Kunst will genau das Gegenteil. Sie wendet sich mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit, ja mehr noch, nur durch die Rezeption, Irritation, Diskussion, Kritik, Bedrohung oder Bestrafung wird das politische Kunstwerk komplettiert.
Vielleicht kann man so sagen: Der politische Künstler handelt, während der unpolitische Künstler verhandelt. Die Trennlinie ist unscharf, weiß ich selber, und in der Mikrobetrachtung stimmt es sowieso nicht, aber so gibt es eine grobe Orientierung.
Gleichzeitig trifft dieser andere berühmte Merksatz, wonach jede Kunst eine politische Handlung darstellt, selbst wenn nur ein Strich gezeichnet wird, auf viele Künstler und Epochen zu. Also alle Schubladen bitte wieder ausräumen! Frühe politische Protestkunst findet sich übrigens schon im alten Ägypten. Das ist keine Erfindung der Neuzeit. Künstler nutzten ihre Kunst, um die Pharaonen und die herrschende Klasse zu kritisieren, gleichzeitig war ihre Kunstfertigkeit atemberaubend schön, artifiziell, handwerklich meisterlich. Die Lyrik und Prosa mancher Völker handeln von nichts anderem als vom Kampf des Menschen gegen die Obrigkeit. Newroz, beispielsweise, das Neujahrsfest der Kurden; ein Volk, dessen über tausendjährige Kultur und Kunst von politischem Widerstand nicht zu trennen ist.
Ohne Kunst gäbe es keine Menschenrechte. Die gefährlichste Eigenschaft des Künstlers ist seine Phantasie, seine Dichtung und auch sein Humor. Ein Künstler kann einen Sklaven als freien Menschen denken, ein gefangenes Volk in einem Epos befreien, Fürsprecher für die Tiere, die Natur, das Universum sein. Ein Künstler schöpft aus sich selbst, vollkommen autonom. Selbst wenn man ihn inhaftiert, wird er weiterdenken.
Du kannst einen Künstler, eine Künstlerin einsperren, aber niemals ihre Kunst. Auch haben sie ein gutes Gedächtnis, sie werden erinnern und erzählen, ihre Geschichten handeln von Vertreibung und Pogromen, von Krieg und Ungerechtigkeit. Deshalb knüpfen sich Faschisten stets die Künstler als Erste vor. Denn um neue Gräuel vorzubereiten, musst du Erinnerung auslöschen. Kunst verbieten. Bücher verbrennen.
- Am 5. März 1933 wurde die NSDAP bei der Wahl zum Deutschen Reichstag mit 43,9 Prozent gewählt.
- Am 10. März hielt Adolf Hitler als Reichskanzler vor dem Deutschen Reichstag seine Rede zum Ermächtigungsgesetz.
- Am 31. März 1933 wurde das erste Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich verabschiedet. Die kommunale Selbstverwaltung und Landtage wurden aufgelöst.
- Im April 1933 führte die NSDAP eine Aufnahmesperre für Neumitglieder ein, um des Ansturms von Aufnahmeanträgen nach ihrer Machtergreifung Herr zu werden.
- Im gleichen Monat wird der „Arierparagraph“ formuliert. Er diente hauptsächlich dem Zweck, jüdische Bürger aus dem Berufsleben zu entfernen.
Wissen Sie, wann und wo die erste Bücherverbrennung stattfand? Direkt im Anschluss an die Wahl der NSDAP und nicht, wie das offizielle Gedenkdatum, der 10. Mai 1933, vermuten lässt. Erst wurden die Bücherverbrennungen organisiert, zur systematischen Verfolgung jüdischer, marxistischer, pazifistischer oder politisch unliebsamer Schriftsteller im NS-Regime, dann folgte die Gleichschaltung.
Die erste informelle Amtshandlung der NSDAP und ihrer Unterorganisationen SA, SS und HJ, waren die Bücherverbrennungen in den ersten Märztagen 1933 in Dresden, dann in Rinteln an der Weser, im April 1933 in Düsseldorf, Magdeburg und Luckenwalde, 6. Mai in München und dann in vielen weiteren deutschen Städten bis in den November 1933 hinein. Als Allererstes, noch vor der ersten konstituierenden Sitzung der Nazis, vor dem Ariernachweis, vor allem anderen, brannten Bücher, Zeitungen, ganze Buchhandlungen wurden unter Beifall der Zuschauer angezündet. Acht Monate lang! Die Bücherverbrennungen waren ein Publikumshit. In über 100 Städten marschierten Zehntausende von Bürgern, schrien Parolen, sangen Lieder und versammelten sich auf zentralen Plätzen. Die Politspektakel wurden live im Rundfunk übertragen.
Eine theatrale Inszenierung, liebes Publikum, zeichnet sich dadurch aus, einen intentionalen Prozess der Gestaltung ausgewählter Stoffe im performativen Akt der Aufführung öffentlich in Erscheinung zu bringen. Bei den Bücherverbrennungen muss Kirmesstimmung geherrscht haben. Wie ein Theaterstück auf öffentlicher Bühne.
Kunst ist nicht nur das erste und liebste Angriffsziel von totalitären Machthabern. Sie ist auch ihr bevorzugtes Mittel, um das totalitäre System zu stabilisieren. Jene Künstler, die noch nicht durch Opposition aufgefallen sind, werden vom Regime umgarnt. Sie werden finanziell, logistisch und manchmal auch privat unterstützt. Sie werden damit bereit gemacht, aus Dankbarkeit oder schlicht Eitelkeit Massenmanipulation zu betreiben. Es gibt kein besseres Propagandamittel als die Kunst selbst. Wir können es überall beobachten: Ihr droht als Erstes die Verfolgung und anschließend ihr Missbrauch.
Gibt es die Möglichkeit eines künstlerischen Widerstands? Ich glaube, dass Widerstand vor allem Wissen ist. Wissen, darüber, wie totalitäre Mechanismen entstehen und installiert werden. Erinnerung ist Widerstand.
Früher bestand der politische Widerstand gegen den Faschismus darin, dass man die Literatur des Feindes in- und auswendig kannte. Heutzutage begnügen sich zu viele damit, ihre Ängste rührselig vorzutragen, Empörung zu inszenieren, sich mit ihrem Entsetzen in Szene zu setzen. Es sind im Wesentlichen performative Akte der Kränkung und des Narzissmus.
Man muss wissen, was die Faschisten wollen und planen. Man sollte sie lesen.
Die Verweigerung einer wirklichen politischen Auseinandersetzung mit politischen Theorien von rechts ist zum Verrücktwerden. Wie soll man in dieser Gesellschaft etwas bewegen, wenn man nicht einmal das Einmaleins des Widerstandes („Studiere den Feind!“) kennt? Es ist so niederschmetternd, man möchte sich freiwillig ans Hakenkreuz nageln lassen. Wo doch immer so darum gebettelt wird, dass im öffentlichen-rechtlichen TV irgendein Faschist endlich „entlarvt“ werden soll. Aber wozu Entlarvung? Es ist doch alles da, sie haben ihre Pläne längst in Büchern und Parteiprogrammen niedergeschrieben und drucken lassen. Alles ist öffentlich zugänglich.
Mein dringender Appell für heute lautet deshalb: Ausländer, kauft bei Nazis!
Nachtrag zur Rede und zum Abend: Ich las verschiedene Passagen aus Büchern von Maximilian Krah, Götz Kubitschek und Martin Sellner vor. Das Publikum strömte nach der Veranstaltung zum Büchertisch und innerhalb von Minuten war die gesamte Fascho-Literatur (die boten wir natürlich an) aufgekauft und ich sehr zufrieden.
Am Samstag wird Jan Böhmermann mein Gast sein. Es wird herrlich, kommt alle!
Tschüss und bis nächstes Mal!
Ihre Mely Kiyak
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