Mit CiaoNow nach Afrika

Juri und ich standen am Rand der Demonstration. »Nie wieder ist jetzt« schallte es durch die Lautsprecher. Ich sagte zu meinem Kumpel, »Hör zu, es ist bald so weit. Sie werden uns deportieren. Glaubst du, wir könnten an der Sache mitverdienen?«
 
In jedem Krieg, jeder Diktatur und jedem autokratisch geführten, korrupten System verdienen sich ein paar schlaue Geschäftsleute goldene Nasen. Warum sollen nur die Anderen profitieren und nicht wir, die wir ausgebürgert und weggevolkt werden sollen. Schließt sich das aus? Opfer sein und vorher noch die große Kohle machen? Bei Deportationen handelt es sich um einen lukrativen Wirtschaftszweig. Transport und Mobilität sind Zukunftsmärkte mit enormen Wachstumschancen.
 
Juri hörte interessiert zu. »Pass auf«, sagt er, »wir müssten die Pro-Kopf Deportationskosten so drastisch unterbieten, dass wir eine echte Alternative zur Deutschen Bahn und FlixBus sind. Aber wie?« Juri ist postsowjetischer Jude, von Beruf Bauingenieur. Er wäre wie gemacht, um Lager zu bauen, denn er ist pfiffig und hat ein gutes Gespür für Design. Aber wir haben beide keine Lust darauf Lager zu bauen. Fähige Handwerker zu finden ist beim derzeitigen Fachkräftemangel einfach nur nervig. Wer hat schon ernsthaft Bock, irgendwo in Nordafrika oder Ruanda nach Fliesenlegern zu suchen. Unter den Deportierten wird es sicher jede Menge Türken und Bulgaren geben. Hat sich schon mal jemand von einem Bulgaren ein Bad fliesen lassen? Überall, wo ein Bulgare gefliest hat, kommt anschließend ein Türke, reißt den Pfusch raus, und ein Ukrainer fliest alles nochmal neu.
 
Juri gibt den für Gründer wertvollen Wink, den Bedarf klar zu benennen. »Mely, was ist bei einer Deportation das Wichtigste? Das Wichtigste sind die Fahrzeuge«. »Juri«, sage ich, »das macht mir am meisten Bauchschmerzen. Mein Problem ist nicht mehr, dass wir entrechtet werden und alles verlieren sollen. Seit Sarrazin war genug Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Mein Problem ist die bevorstehende mehrtägige Reise. Ich kann einen Bus voller Kanacken nicht überstehen. Der Lärm, die Musik, einfach nur nervig. Ich bin derart assimiliert, ich brauche auf Reisen etwas Ruhiges. Deutschlandfunk oder einen Podcast. Ich kenne keinen einzigen Ausländer, der Zeit Verbrechen hört, aber jede Menge, die sie begehen.«
 
Juri sagt: »Wir müssten ein Unternehmen mit individuellen Transportlösungen anbieten.« Recht hat er. 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund plus Flüchtlinge sind ein Haufen Leute mit unterschiedlichen Reisepräferenzen. Die ganzen Pakistaner, die in Berlin als Essenslieferanten arbeiten, möchten vielleicht ins Lager radeln. Ich kenne ein paar Iraner, die sehe ich ganz klar im Bierbike nach Casablanca fahren. »Juri« sage ich, »Lass uns ein Unternehmen mit Mitfahrgelegenheiten, Mietwagen, Liegefahrrädern und so weiter gründen. Wie nennen wir die Mietwagenflotte?« »CiaoNow. Wie findest du das?«. Die Deutsche Bahn hatte mal vor, ihre neue ICE-Flotte »Anne Frank« zu taufen, erinnere ich mich. »Gemessen daran, klingt CiaoNow nach fun und Instagram«. Ich stellte mir vor, wie man ein paar Deportationsfluencerinnen gratis mitfahren lassen könnte, um die Marke zu pushen. »Juri, was hältst du von MadagasCar?« »Das ist es!« Juri strahlte über sein blau gefrorenes Gesicht. Er holte sein Bauingenieurnotizheftchen heraus und notierte sich alles.
 
Es wird Juris Job sein, die Markennamen ins Handelsregister eintragen zu lassen. Mit meiner nichtjüdischen und nicht reinrassig deutschen Herkunft würde das bloß Ärger geben. Wortwitze über die deutschen Verbrechen sind eine empfindliche Angelegenheit. Nur wer es mit Deportation und Vernichtung ernst meint, wird gesellschaftlich und parteipolitisch überleben. Als Aiwangers Flugblatt, das er als Schüler verteilte, wo er Genickschüsse und Freiflüge durch den Schornstein in Auschwitz verloste, bekannt wurde, konnte er eine ernsthafte Karriere als Politiker starten. Vielleicht könnten wir für MadagasCar und CiaoNow Gelder bei der Desiderius-Erasmus-Stiftung beantragen.
 
Juri und ich schwiegen und hörten weiter den Reden zu. Durch den Kundgebungslautsprecher wurde »Sie wollen das Unsagbare sagbar machen!« gerufen. Die Menge johlte empört. Juri und ich guckten uns an und platzten vor Lachen los. Das Sagbare sagen. Das Denkbare denken. Darum geht es! Sie werden uns nie verstehen.
 
Dieses Jahr finden drei Landtagswahlen im Osten statt. Höchste Zeit, Fahrgäste zu akquirieren. Juri schlägt Frühbucherrabatte von zehn Prozent vor. Ich sage: »Russen, Ukrainer oder Osteuropäer bewegen sich bei diesem Rabatt vielleicht. Aber für Afghanen, Araber, Syrer sind zehn Prozent keine Option. Die kommen erst bei 50 Prozent an und handeln auf 70 hoch«. Juri mahnt, nicht zu ramschig zu wirken. Er hat recht. Wir müssten uns auf eine Klientel konzentrieren. Entweder wir bieten Transportlösungen für akademische Kanacken mit Bildungsangeboten an Bord und Kinderbetreuung an, oder aber wir greifen die Unterschichtsorientalen ab. Die sind zu Fuß nach Europa gekommen und nicht sehr anspruchsvoll. Es gibt doch diese Grillhähnchenwagen, die am Wochenende immer vor den Supermärkten stehen. Man könnte sie in Kolonne koppeln und auf die Reise schicken, »Wir chicken Sie sicher ans Ziel«. Immer zwei Schritte im Voraus denken. Die KZ‘s sind dank der Erinnerungskultur weitgehend erhalten geblieben. Vielleicht landen wir gar nicht in Afrika, sondern bleiben in Europa. 
 
Eisige Kälte weht über den Platz. Ich friere so sehr, dass ich nicht mehr zuhören kann. Die bravourösen Rechercheergebnisse von CORRECTIV haben eine auszeichnungswürdige Arbeit vorgelegt. Erneut wurde bewiesen, was längst bekannt ist, weil die Faschisten seit über zehn Jahren ständig davon reden. »Jagen«, »Ausschwitzen« und so weiter. Die Archive der AfD-Reden sind voll von Versprechungen dieser Art. Das Wort Deportation wird nicht mehr als sinnentleerte Provokation einiger Knallköppe verstanden, sondern ist das Stichwort realer Politik von realen Leuten. Und wieder ist es ein österreichischer Importfascho, der den Deutschen hilft, ihren Hass in produktive Wirklichkeit zu verwandeln. »Wir sind mehr!«, ist der letzte Slogan, den ich höre, bevor ich mich von Juri verabschiede und nach Hause gehe.
 
Keine Ahnung, wer dieses »Wir« ist. Auch das »mehr« ist kaum brauchbar. Faschisten haben es längst auf anderem Weg geschafft, ihre Regierungsmacht möglich zu machen. CDU, CSU, die Wagenknecht-Clique und die sich demnächst gründende Partei um Hans-Georg Maaßen, konkurrieren längst nicht mehr um AfD-Stimmen. Es ist ein fataler Irrglaube, den politische Leitmedien ständig proklamieren. Das rechtsradikale Sprechen der Volksparteien und ihr politischer Kurs gegen Asylbewerber, Flüchtlinge, Arbeitslose und Arme, ist nicht der Versuch, am rechten Rand AfD-Wähler zu fischen. Politik funktioniert nicht so. Das wissen die politischen Designagenturen doch längst, dass ein AfD-Wähler mit seiner Wahl zufrieden ist. Nun umso mehr, da nicht einfach nur geredet wird, sondern offenbar praktische Planungen im Hintergrund stattfinden. Aiwanger, Merz und Wagenknecht bringen sich ganz klar als Koalitionspartner für die Faschisten ins Spiel. Bei Finanzminister Christian Lindner kann man minütlich verfolgen, wie er sich als brauner Bräutigam an die AfD heran fummelt. Seine Bauernprotestrede vor den Rindviehwirten und Güllegenerälen, war kein Akt der Verzweiflung. Seine Rede offenbarte keinen Mangel an politischen Ideen, sondern ist Ausdruck von Kalkül.
 
Womit alle Parteien sicher nicht gerechnet haben, ist der massive Widerstand, der sich deutschlandweit gerade formiert. Ich verstehe diesen Widerstand nicht nur Richtung AfD adressiert. Es geht nicht nur darum, gegen sie zu sein. So viele Deutsche sind einfach nur abgestoßen von den politischen Volksparteien, die seit zwanzig Jahren vom aufrechten Pfad abgekommen sind. Es sind Menschen auf diesen Demonstrationen, die sonst nie raus auf die Straße gehen. Es ist bewegend und schön. Ob wirksam oder nicht, wird davon abhängen, ob diese Bewegung in der Lage sein wird, klare Forderungen zu stellen. Allein das Unbehagen zu äußern wird sicher zu wenig sein.

Mich interessiert noch eine letzte Sache. Wird man Deportationen in der Steuererklärung als außergewöhnliche Belastungen anrechnen lassen können, oder werden sie zum gegebenen Zeitpunkt weder als außergewöhnlich noch als Belastung gelten?




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