Thomas Bernhard wäre gelangweilt

Ich kriege neuerdings jede Menge Nachrichten, in denen mich Kollegen, also Kulturschaffende und Künstler fragen: Ist es nicht ein Wahnsinn, wie sich die österreichischen Nazis gerade selbst zerlegen?
Na ja. Mein Jubel hält sich in Grenzen.

Wieso glauben so viele Menschen in Deutschland und Österreich, dass der Videobeweis, in dem Heinz-Christian Strache plant, was er mit russischen Schwarzgeldmillionen anstellen würde (die Kronen Zeitung kaufen, sich darin hochjubeln lassen, die Pressefreiheit abschaffen, den Staat verscherbeln), der FPÖ nachhaltig schaden würde? Im September wird es in Österreich Neuwahlen geben.

Mein Eindruck, den ich von Wählern der rechtsextremen Parteien gewonnen habe, ist, dass sie meistens gar kein Problem damit haben, wenn russisches Geld in ihre Parteien fließt. Marine Le Pens Rassemblement National wäre ohne russische Kredite längst pleite. Bei den Prognosen für die Europawahl liegen La République en Marche (Macrons Regierungspartei) und Le Pens Partei beide bei 22 Prozent. Ich glaube, dass es den Wählern vollkommen wurscht ist, woher das Geld stammt. Je rechtsextremer die Parteien, desto wurschter wird es.

Genauso verhält es sich mit schlechtem Benehmen. Über Donald Trump gab es Tonaufnahmen, in denen er über Frauen sagte: „Grab them by the pussy. And then you can do anything.“ Bekanntlich wurde er mit dieser Art von Sprüchen zum Präsidenten gewählt. Nicht obwohl, sondern weil. Dass Strache sich nun von seinem „typisch alkoholbedingten Machogehabe“, wie er über sich selber sagt, distanziert, ist unter Umständen ein Fehler. Den Wählern rechtsradikaler Parteien kann es  meistens nicht draufgängerisch genug sein. Kann sich noch jemand an André Poggenburgs besoffene Reden erinnern? Oder an Björn Höckes Machogefasel von der verloren gegangenen Männlichkeit? Genau dieses Prolltum hob die AfD in den zweistelligen Bereich. Als die „Alternative“ noch aus Bernd Luckes „Nord-Euro, Süd-Euro“- Idee unter vollkommener Abwesenheit von Vogelschiss-Rhetorik bestand, interessierten sich nur ein paar pensionierte Ökonomen für die AfD.

Ich wage eine These: Bei österreichischen Neuwahlen wird Sebastian Kurz’ ÖVP eher verlieren, die FPÖ eher gewinnen, genauso die Grünen. Bei der SPÖ bin ich mir unsicher. Meistens ist es nach Politskandalen am rechten Rand nämlich so, dass er in der Wählergunst kurz schwächelt, dann aber wieder stark wird. Gleichzeitig mobilisiert das die Wählerschaft der linken Parteien, allerdings in bescheidenem Ausmaß.

Ein weiterer Grund für meine Annahme ist die Absurdität, dass sehr wenig über die Inhalte des Ibiza-Videos gesprochen, aber sehr viel über dessen Entstehung spekuliert wird. Eine Menge Medien, in Deutschland vorneweg die Springerzeitungen, versuchen eine Diskussion darüber zu entfachen, ob es legitim sei, so ein Video zu veröffentlichen. Der Springer-Konzern nennt bei Verbrechen übrigens prinzipiell die Herkunft des Täters, weil sich die Wahrheit ausgesprochen gehöre. Es ist bekanntlich eine sehr wahrheitsliebende Zeitung. Nun versucht man in Bild, Welt und Co. seit Tagen die Veröffentlichung des Videos zu skandalisieren. Das bewirkt die Ablenkung  vom zurück getretenen korrupten Vizekanzler. Nun da es um den rechtsradikalen Heinz-Christian Strache geht, ist die Wahrheit über ihn offenbar nur noch halb so wichtig. Das künstliche Entzünden dieses Nebenschauplatzes wird Strache helfen, politisch zu überleben.

Die medienrechtliche Lage ist eindeutig. Bislang gibt es keinen einzigen Juristen in Österreich und Deutschland, der einen Graubereich erkennen kann. Medien dürfen so ein Material nicht herstellen. Aber sie dürfen es veröffentlichen. Ich fasse hier gerade das „Wallraff-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1984 zusammen, das den Quellenschutz und das öffentliche Interesse sehr hoch bewertet. Jeder seriöse Journalist in Deutschland kennt dieses Urteil auswendig. Da es ein Medienrecht gibt, das solche Fälle regelt, benötigt man demzufolge keine Moraldiskussion. Es sei denn, man verfolgt ein politisches Interesse.

Ich glaube jedenfalls nicht, dass die FPÖ sich erledigt hat. Sie ist seit Jahrzehnten nicht totzukriegen. Im Vergleich zu allem anderen, das sie anrichtete, ist das Ibiza-Video geradezu eine Lappalie. Dass extreme Rechte keine Garanten für Pressefreiheit sind, ist so neu nicht. Dass die Abschaffung derselben nach dem Vorbild Viktor Orbáns geschehen soll, taugt schon deshalb nicht als Neuigkeit, weil die Abschaffung der freien Presse überall auf der Welt mit den gleichen Mitteln geschieht. Orbán ist nicht der Urheber der diktatorischen Idee, sondern auch nur ein Kopist.

Können sich noch alle an den 4. November 1988 erinnern? Da wurde Thomas Bernhards „Heldenplatz“ unter der Regie von Claus Peymann am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Das Stück handelt von der reaktionären österreichischen Gesellschaft. Von Schuld und Aufarbeitung.

In dem Stück heißt es:

In Österreich Jude zu sein bedeutet immer
zum Tode verurteilt zu sein
die Leute mögen schreiben und reden was sie wollen
der Judenhass ist die reinste, absolut unverfälschte Natur
des Österreichers

Im Vorfeld der Aufführung gab es erbitterten Widerstand gegen das Stück, das noch niemand kannte. Da aber die Burg ein paar Passagen vorab veröffentlichte, wurde ein bis heute beispielloser Alarm in der Öffentlichkeit losgetreten. Und nun raten Sie, wer die drei lautesten, mächtigsten und schrillsten Gegner des Stückes waren?
Richtig – die ÖVP, die FPÖ und die Kronen Zeitung. Also die gleiche Starbesetzung wie heute.

Und wissen Sie, wer in der Loge mit seinen Neonazifreunden die Faust zum Deutschen Gruß erhob und sich die Kehle aus dem Leib schrie? Sie ahnen es bereits. Es war der 19-jährige Bumsti Strache. Bumsti, so erklärte es Heinz-Christian einmal selbst, war sein Spitzname. Womit sich Strache vor einigen Tagen nach der Veröffentlichung des Ibizia-Videos in seiner Rücktrittsrede zu retten versuchte, war die Erwähnung des israelischen Politikberaters Tal Silberstein. Kurz: Der Jude steckte mal wieder hinter der ganzen Sache. Thomas Bernhard wäre gelangweilt.

Nun kennt man aus einem sechsstündigen Gespräch auf Ibiza bislang nur einige Minuten Inhalt. Man wüsste natürlich gerne, was Bumsti B’soffen über Parteikollegen, Ausländer, Flüchtlinge zu sagen hatte. Vielleicht hat man Glück und erfährt es. Vielleicht erfährt man es nie. Wichtig scheint mir aber folgender Gedanke: Seit 31 Jahren hält sich ein Rechtsradikaler mit Erfolg in der österreichischen Öffentlichkeit. Was ist der größere Skandal? Dass so einer die höchsten Ämter des Staates bekleiden darf? Oder das Ibiza-Video, in dem er beweist, dass er seiner Ideologie treu bleibt? Ich finde ja, gemessen an dem, was Strache bislang von sich gab, kommt er im Ibiza-Video fast ein wenig gemäßigt rüber.

Ich empfehle eine exzellente Arbeit, die die Kollegen der Süddeutschen Zeitung vor einigen Jahren über Heinz-Christian Strache veröffentlicht haben. Für mich das umfassendste politische Porträt dieses Mannes. Nebenbei erfährt man auch, was eine Qualitätspresse auszeichnet:

Teil 1: Die Akte Strache
Teil 2: Psychogram eines Populisten

Das war’s für heute. Noch ist Freiheit. Noch können wir solche Texte veröffentlichen.

Herzlich grüßt aus dem Gorki
Ihre Theaterkolumnistin Mely Kiyak



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