Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident in Baden-Württemberg und Mitglied der Grünen. Winfried Kretschmann betet täglich für Angela Merkel. So las ich es in einem Interview, das er dem Berliner Tagesspiegel gab.
Ich habe, das schrieb ich oft, keine Angst vor Menschen, die beten. Tiefe Religiosität beeindruckt mich zutiefst. Gespräche mit Menschen, die Theologie studiert haben, sind oft ein philosophischer Genuss. Jedoch: Ich fürchte mich vor betenden Politikern. Wenn Politiker aufhören, Politik zu gestalten und anfangen zu beten, werde ich unruhig. Hätte der Winfrid Kretschmann gesagt: „Ich bete täglich Angela Merkel an“ oder „Ich bete täglich zu Angela Merkel“, wäre ich sicher nicht hängen geblieben.
Von einem Mitglied der parlamentarischen Demokratie mag ich das Wort Gott nicht hören. Ich mag das einfach nicht. Mich nervt auch der Begriff Christdemokrat. Ist das nicht Schwachsinn? Als Demokrat bist du Demokrat. Gott hin oder her. Sobald du das einschränkst, bist du kein Demokrat mehr.
In dem Interview bescheinigt Winfried Kretschmann der Bundeskanzlerin eine gute Europapolitik. Na ja. Kann man so sehen oder so. Das ist hier zwar nicht das Thema der Kolumne, aber ich möchte doch an Oktober 2013 erinnern. Vor Lampedusa sank ein Boot mit 500 Flüchtlingen.
Wochen und Monate vor sowie nach der Katastrophe bat Italien die Europäer um Solidarität und Einigkeit. Um eine, wie man so schön sagt, europäische Lösung. Die Antwort unserer Europapolitikerin Merkel war, dass die zu jenem Zeitpunkt in Deutschland lebenden 65.000 Flüchtlinge unsere Aufnahmekapazität über Gebühr strapazierten. Deutschland ließ Italien mit seinem Problem im Stich.
Zwei Jahre später, da Deutschland völlig überraschend und wie aus heiterem Himmel über Nacht von Flüchtlingen überrannt wurde, bittet die Kanzlerin um Solidarität, Einigkeit und um eine, wie man so schön sagt, europäische Lösung. Heute lässt Europa Deutschland im Stich. Angela Merkel steht auch in ihrer Partei zunehmend isoliert da und kann sicher jede Unterstützung gut gebrauchen. Auch die Gebete eines Grünen. Womit wir wieder beim eigentlichen Thema sind: Winfried Kretschmanns Kompass für sein politisches Handeln, das er in dem eingangs erwähnten Interview in einer Tour mit seinem Christsein rechtfertigt.
Familie schreibe er groß und betont „wie übrigens auch die Kirchen“. Na und, denkt sich der demokratische Leser! Welche Rolle spielt das? Wenn die Kirche demnächst die Todesstrafe für Flüchtlinge fordert, was macht der Kretschmann dann?
Menschen an Grenzen abzuweisen, rechtfertigt der Ministerpräsident ebenfalls mit der Bibel. Nächstenliebe sei das wichtigste Gebot der Christen und das bedeute, dass man sich nicht überfordern dürfe. Also Grenzen auch mal dicht machen. Und auf den Rassismus der Slowakei, die sich weigert muslimische Flüchtlinge aufzunehmen, antwortet der Grüne: „ ..dann sollen sie halt christliche Flüchtlinge aufnehmen“, so als sei das völlig legitim.
Kretschmann fasst seine Überzeugung so zusammen: „Pragmatischer Humanismus, das ist meine Leitlinie“.
Zwar gibt es in der Denkgeschichte durchaus Überlegungen zum Verhältnis von Humanismus und Pragmatismus und wer sich etwas in William James Philosophie eingelesen hat, wird wissen wovon die Rede ist. Kretschmanns „pragmatischer Humanismus“ meint aber eindeutig etwas Anderes. Sein Humanismus wird dann rausgekramt, wenn er nichts kostet, keine Risiken birgt und nur einem selbst nützt. Manche nennen diese Maxime auch anders. Nämlich Egoismus. Und als Begründung wird immer schön mit der Bibel gewedelt. Natürlich immer mit den Stellen, die einem politisch gerade nützen. Wenn Politiker anfangen Gott und Staat miteinander zu verschwafeln, dann wird es einfach nur noch düster. Gott schuf die Welt in sieben Tagen. Demokratie war meines Wissens nicht dabei.
Wenn einer Religion als Grundlage für sein gutes Handeln benutzt, wird er auch keine Hemmungen haben, Religion für sein schlechtes Handeln zu benutzen.
Leute, glaubt mir. Genauso machen das reaktionäre und mindergebildete Ayatollas und Dorfmuftis mit islamischen Glauben auch, wenn sie in ihren Dörfern den Leuten mit ihren unsinnigen Fatwas das Leben zur Hölle machen. Schiitische Dorfmullahs oder sunnitische Dorfimame verstehen genau wie Kretschmann Heilige Schriften immer nach Bedarf, um nicht zu sagen „pragmatisch humanistisch“.
Der moderne Humanismus hat mühsam eine Idee von Frieden, Menschlichkeit und Solidarität entwickelt, die, wenn es sein muss, auch im Widerstand zu jedweder Religion agiert. Diese Denkschule vereinbart sich vorzüglich mit dem Glauben an Gerechtigkeit. Ich nenne es Rechtsstaat. Und sein oberstes Gebot lautet: Politik ohne Gott.
Versteht j e t z t jeder, warum das mit betenden Politikern so eine Sache ist? Wer es bis hierher nicht begriffen hat, dem kann ich es leider auch nicht besser erklären. Für den bleiben nur noch meine Gebete. Möge Gott Verstand auskippen!
Amen.
Ihre Mely Kiyak
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