Die Ehe ist in allen mir bekannten Kulturen und Religionen der Versuch, die Sexualität der Frauen zu legitimieren und in geordnete, vor allem monogame Bahnen zu lenken. Die Ehe ist ein Kontrollinstrument über die Ausübung des Liebeslebens der Frauen. Andernfalls könnte man die Kinder keinem Mann zuordnen. Auf dem Weg der Zuordnung der Kinder sind auch die Besitztümer geregelt. Und damit das Erbrecht. Und also Frieden innerhalb der Sippen. Die Ehe ist vordergründig eine private, romantische Angelegenheit zwischen zwei Menschen. Aber eigentlich ist sie ein politisches Konzept, das privat ausgeübt, millionenfach gesellschaftlichen Frieden, Wohlstand und Sicherheit bewirkt. Auch vor der Erfindung der monotheistischen Religionen gab es Rituale, die Lebensverträge zwischen Paaren dauerhaft organisierten. Kein Gesellschaftskonzept ist so alt und hat derart viel Tradition wie die Ehe. Nicht die Kirchen haben das erfunden, sondern die Gesellschaften. Man weiß es nicht genau, aber offenbar heiraten die Menschen seit 5000 Jahren. Davor gab es polygame Gesellschaften, in denen Frauen ihre Sexualität frei lebten, sich in Gemeinschaften zusammen taten und die Kinder gemeinsam erzogen. Sie waren, wenn man so will, „hippiemäßiger drauf“. Die Ehe ist der erfolgreiche Versuch, die Frau anzubinden. Ans Bett, an den Mann, die eigenen Kinder, die Sippe, die Glaubensgemeinschaft und so fort.
Damit die Ehe aber nicht als hässliches Herrschaftsinstrument daher kommt, lud man sie mit allerhand Kitsch und Humbug auf. Die religiösen Institutionen waren da besonders fantasievoll: Das Konzept der Sünde und der Hölle kommen ins Spiel. Die Ehe wird zum heiligen Sakrament überhöht. Wer außerhalb der Ehe Sex hat, büßt im Diesseits wie im Jenseits. Auf Erden wird man aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Weil das als Schreckensszenario offenbar nicht ausreicht, wird man auch noch im Jenseits in der Hölle kokeln, so die volkstümliche Sage von Priestern und anderen Imamen. Im Islam gar wird die Ehe als finanzieller Schutz begriffen. Also zum Wohle der Frauen. Wer aber die „schützenden Arme“ verlassen will, wird wie bei der Mafia verfolgt und getötet. Was einem bei Ehebruch in der Hölle alles blühte, kann man herrlich auf christlichen Kunstwerken des Mittelalters in Museen studieren. (Was einem als irdische Hölle in der Ehe blüht, kann heute jeder in seiner eigenen Familie studieren). Man brauchte diese hanebüchenen, monströsen Gewaltdarstellungen in den Bildern und Erzählungen der Glaubensinstitutionen als Gegenpol zur Sexualität des Menschen. Man hat es mit zwei starken Kräften zu tun. Hier die Sexlust des Menschen, es zu machen, mit wem und wie man will. Und da die Religionen, die einem weismachen wollen, dass nichts so schön sei, wie eine „verantwortungsvolle Sexualität im geschützten Rahmen“. Dabei weiß jeder: Die dauerhafte Verbindung zwischen zwei Menschen ist der denkbar sicherste Lustkiller, den sich die Menschheit ausdenken konnte. Die Ehe ist ein frauenfeindliches Denkmal. Für Ehebruch werden heute immer noch Frauen getötet, bestraft, geächtet. .
Erstmals in der Geschichte der Menschheit ist es gleichgeschlechtlichen Paaren in einigen europäischen Ländern erlaubt, eine Ehe zu schließen. Im Zusammenhang mit der einhergehenden Berichterstattung ist von „fortschrittlichen Gesellschaften“ die Rede. Das „erzkatholische“ Irland und Spanien seien modern, Deutschland nicht. Heiraten ist aber nicht modern, sondern kapitalistisch, altmodisch und reaktionär. Aber so ist es nun mal mit der romantischen Erhöhung. Sie ist uns anerzogen worden. Wir sind es so sehr gewohnt, dass Menschen heiraten, dass niemandem ernsthaft in den Sinn kommt, die Ehe komplett abzuschaffen. Auch die zivile Form der Ehe bleibt, was sie ist. Das süße Versprechen „einander ewig treu zu bleiben“ endet spätestens bei der Scheidung mit den hässlichen Worten wie „eheliche Zugewinngemeinschaft“, „Rentenausgleich“, „alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht der Kinder“. Nichts und niemand kann Liebe, Begehren und Lust, die von Freiheit und Flüchtigkeit leben auf Papier manifestieren.
In einer nach Säkularität und Gleichheit unter den Geschlechtern strebenden Gesellschaft hat das Heiraten nichts verloren. So lange geheiratet wird, werden Frauen nie frei sein. Was will man machen. Schwule und Lesben wollen heiraten, genauso wie Heterosexuelle das tun. Es muss dafür gesorgt werden, dass sie dieses Recht uneingeschränkt erhalten. Nicht, weil heiraten so toll ist, sondern weil Ungleichheit abzulehnen ist. Jahrelang wurde uns erklärt, dass deutsche Soldaten in den Krieg gezogen sind, damit Mädchen in Afghanistan in die Schule gehen dürfen. Krieg führen zum Zwecke der Geschlechtergleichheit. Wenn das so ist, dann müssen in Deutschland auch Männer Männer heiraten dürfen. Dieser athletische Gedankensprung ist unter aufgeklärten Geistern völlig klar.
Irland ist natürlich nicht modern. Es verbietet Abtreibungen. Aber es erlaubt Heiraten unter Schwulen und Lesben. Das ist insofern logisch, weil der Kirche nichts so sehr ein Graus ist wie frei ausgelebte Sexualität. Wenn sie schon vögeln, dann unter dem Segen der Kirche. Das nenne ich ein Rollback. Denn noch ist Männern das Heiraten„erlaubt“. Was aber, wenn Homosexuelle diskriminiert werden, weil sie noch nicht geheiratet haben? Was, wenn die Kirchen umschwenken und sagen, dass Homosexualität kein Problem sei, sondern der nichteheliche Sex von Homosexuellen und die gesellschaftliche Treibjagd auf nichtverheiratete Schwule und Lesben losgehen wird? Ja, was dann? Dann hat die Ehe gewonnen. Und damit die Domestizierung der Sexualität des Menschen. Jahrtausende lang die der Frauen. Und bald die der Männer. Das ist nun aber wirklich Gerechtigkeit.
Ich bleibe dabei. Wer sich in alberner Hochzeitskleidung vor einen Altar stellt („vor Gott“) oder einen wildfremden Standesbeamten („den Staat“) hat nicht verstanden, dass freie Menschen so etwas nicht tun sollten. Heiraten.
Mely Kiyak
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