Beethovens Vögel überm KZ Mauthausen

Mely Kyaks Theater Kolumne: Beethovens Vögel überm KZ Mauthausen
Diese Woche dachte ich mir, warum nicht einfach von meiner Feuilletonlektüre schwärmen? Ich lese täglich einige Kulturteile. An manchen Tagen sind sie gut. Manchmal nur so lala. Das Feuilleton der ZEIT in der vorletzten Ausgabe war seit langem einmal wieder fabelhaft.

Es begann mit Peter Kümmels super Aufmacher. Er schreibt über Verwandlung, die auf Theaterbühnen nur noch verschämt stattfinde. Der Bühnenkünstler der Gegenwart sei ein Schauspieler, der das Rollenkostüm abwerfe, da er meine, anders nicht mehr ernst genommen zu werden. Dieser neue Spielertyp stünde im Kontrast zu jenen Leuten, die den Umweg des Erzählens, Verkleidens, Verwandelns nehmen. „Darstellungsbeamte“ nannte der Intendant der Münchner Kammerspiele, Matthias Lilienthal, solche Schauspieler, die noch spielten. „Berufsversteller“ heißen sie bei Peter Kümmel. Das gegenteilige System davon wäre demzufolge das Nichtspielen. Um dieses Nichtspiel zu beschreiben, verwendet er so wundersame Begriffe wie „Inkompetenzkompensationskompetenz“, womit er das zur Methode erhobene Sichtbarmachen von Nichtkönnen meint. Und irgendwie finde ich, hat er recht.  Seit Jahren sehen wir Stücke, mit „echten“ Menschen und „echten“ Geschichten und „echten“ Anliegen, ohne den Filter des Vorspielens, des Täuschens, was die Schauspielkunst nun einmal zur Kunst macht. Aber worin besteht die Kunst, wenn sich einer nicht mehr verstellt? Kümmel hat den Mut, es auszusprechen. Wenn der Spieler auf der Bühne nicht mehr virtuos ist, nicht mehr so tut als ob, sondern nur noch er selbst ist, dann ist das uninteressant. „Die meisten Schauspieler, welche die Kluft zwischen sich und ihren Zuschauern überspringen, verlieren im Sprung ihr Geheimnis. Privat sind sie nicht interessant“. Darüber könnte man, so finde ich, auf Theaterbühnenmatineen öfter reden. Weil ich vermute, dass es auch noch etwas Drittes gibt. Nämlich das Vorspielen des Nichtspiels. Das Vortäuschen eines vermeintlichen Nichtkönnens. Wo das bravourös geschieht, würde ich durchaus wieder von Kunst sprechen. Oft sieht es aber nicht bravourös aus und ist für Zuschauer wie mich häufig einfach nur eine Qual. Sowieso wird viel zu wenig über die Schauspielskunst an sich gesprochen. Wenn es so etwas wie das Literarische Quartett für das Schauspiel gäbe, ich säße in jeder Veranstaltung!

Vom Nichtspielen und Nichtkönnen zu Daniel Küblböck

Dann, super Übergang, folgte ein Nachruf auf Daniel Küblböck, der seit dem 9. September als verschollen gilt. Offenbar fiel er von Bord des Kreuzfahrtschiffes AIDA, irgendwo vor der kanadischen Küste. Es wird so allerhand vermutet, wie es dazu gekommen ist. Es gilt als unwahrscheinlich, dass der 33-jährige wieder auftauchen wird.

Küblböck war, wie Anja Rützel auf Spiegel Online schrieb, „der größte aller Träumer“ und „für die Popkultur eine ikonische Figur des 21. Jahrhunderts“. Ich sehe das ähnlich. Das öffentlich gemachte Urteil als eigenes Genre in der Unterhaltungskultur wird bis heute im Fernsehen praktiziert. Bei Küblböck wurde besonders besessen geurteilt. Er lieferte dem Boulevard jahrelang Material für dessen hochnäsige Berichterstattung und jetzt wo er vermutlich tot ist, schaffen sie es nicht, einen einzigen Artikel zu schreiben, einen einzigen Bericht zu senden, der auch nur ansatzweise respektvoll, humorvoll oder einfach nur warmherzig ist. Es war dann das Feuilleton der ZEIT, das diese Lücke füllte, wo der Nachruf auf Daniel Küblböck von keinem geringeren als dem Literaturchef Ijoma Mangold persönlich verfasst wurde. Ich war so baff, so hingerissen und auch so berührt, denn alles was Mangold schrieb, stand in einem solchen Gegensatz zu dem geschmacklosen Gerüchtescheiß von Bunte bis Bums, von Brisant bis Krokant. Die ganzen Vulgärmedien meinen noch über Küblbücks Tod hinaus auf seine Kosten Klicks und Quote generieren zu müssen, indem sie jeden Briefträger fragen, der schon einmal auf einem Schiff fuhr, ob er was Genaueres wüsste, wer wann wie was und so weiter. Mangold schrieb so pietätvoll und gleichzeitig so ehrlich über ein Ausnahmetalent, das darin bestand, sehr wenig auf sehr amüsante Weise zu können und machte die scharfsinnige Beobachtung, dass die Öffentlichkeit sich bei Küblböck auf das Etikett „schräg“ geeinigt hatte. „Hinter der Genervtheit, die Küblböcks charismatische Penetranz hervorrief, versteckte sich auch schlecht verbrämte Homophobie. Das alles musste der Begriff schräg abdecken“.

Daniel Kehlmann hat Schwierigkeiten Mauthausen zu verlassen

Und dann las ich noch den Abdruck einer Rede zur Eröffnung des Brucknerfestes in Linz von Daniel Kehlmann. Kehlmann beschreibt ein Gedenkkonzert im ehemaligen Lager Mauthausen. Die Wiener Philharmoniker spielten Beethovens Neunte. Die Singvögel zwitscherten wundersam in die Stille zwischen den Motiven.

Wo viele Menschen zusammenstehen, bedarf es eines Sicherheitsdienstes, wobei dem Schriftsteller nicht ganz klar war, ob es sich bei der Security um Polizisten oder Wächter einer privaten Sicherheitsfirma handelte. Das Sicherheitspersonal bediente sich für die Aufsicht der Veranstaltung bei der vorhandenen Infrastruktur. Sie stellten sich dafür auf die ehemaligen KZ-Wachtürme. Schemenhaft nahm der Dichter ihre uniformierten Silhouetten in Wächterpose wahr. Als das Konzert zu Ende war, kam eine Person auf die Bühne und sagte mit scharfer Stimme in ein Mikrofon zunächst auf Englisch „never forget“ und dann auf Deutsch „Niemals vergessen“. Anschließend wollten alle Besucher das Gelände verlassen, aber es ging nicht. Jedenfalls nicht schnell und allgemeine Verärgerung machte sich breit. Auch Daniel Kehlmann war genervt, bis ihm auffiel, dass das ehemalige KZ-Mauthausen nun einmal kein Konzertort ist, sondern dafür gemacht worden war, dass man von dort nicht wegkam. Kehlmann beschreibt diesen schaurigen Moment des Nichtwegkommens und erinnert dabei an seinen Vater, der 55 Jahre zuvor in einem Nebenlager Insasse war. Er erzählt von der Inhaftierung des Vaters und dessen Entkommen, aber es gibt in der ganzen Erzählung weder Trost noch Freude. Seine Pointe ist die: Der Steinbruch von Mauthausen sei so solide, so wahr, so da, wie nur irgendetwas da sein kann. Er nimmt das Wort „Gedenken“ nicht in den Mund, aber er spielt darauf an, indem er sagt, das „Dritte Reich“ sei eben kein blasses Mahnwachen-Fantasiegespinst. Ganz im Gegenteil, „vor kurzer Zeit erst haben sich von diesem unserem Land aus die allerrealsten Flüchtlingsströme über Europa ergossen, Ströme von Verzweifelten, Entwurzelten und Entrechteten“. Dann entschuldigt er sich: „Womöglich bricht ja bald wieder eine Zeit an, in der man in Österreich über Musik, Kunst, über schöne Dinge sprechen kann. Ich hoffe inständig, diese Zeit kommt. Aber sie ist noch nicht da“. Die Rede wurde unter der Überschrift „Es ist gerade erst geschehen“ abgedruckt.

Das passiert nun häufiger. Dass sich vorne im Politikteil Kollegen erbittert über politische Zusammenhänge streiten, den Diskurs rezensieren, allerschrecklichste Kämpfe um Deutungshoheit ausfechten und hinten die Kollegen in den Feuilletons die wahren Schlachten schlagen und sagen, was gesagt werden muss. Oder sagen lassen. So eine Lektüre tröstet mich. Und davon wollte ich heute erzählen.

Herzlich
Ihre Theaterkolumnistin Kiyak

 

 

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