Nehmen wir an, das Parteienspektrum wäre nicht in rechts und links unterteilt, sondern in pro-oben und pro-unten, so wäre ich definitiv ein pro-unten Wähler. Ich habe ein Herz für die Leute da unten. Weil ich weiß, dass das nicht ihr rechtmäßiger Platz ist.
So aber fehlt mir ein politischer Hafen. Auch vermisse ich politische Stimmen, denen ich gerne zuhöre.
Bislang verortet man das Problem der politischen Heimatlosigkeit auf der Seite der extremen Rechten und der Demokratieüberdrüssigen. Dabei sind die parteipolitisch mit der AfD ganz gut versorgt. Von ihren 6 Millionen Wählern, wählten 1,5 Millionen zuvor gar nicht. Der Rest kam zum größten Teil von der CDU und FDP. Der Versuch der CSU mit einem Heimatministerium diese Wähler zurückzuholen ist natürlich zum Scheitern verurteilt. Die wollen nämlich nicht zurück.
Es gibt sicher konservative Bürger, die sehr verzweifelt eine konservative Partei vermissen. Für die die CDU aus inhaltlicher Nähe zur AfD unwählbar geworden ist. Ich verstehe diese Leute. Ich sehe zwischen den Äußerungen eines Frank Richters, der Pegida in Sachsen gesellschaftspolitisch anschlussfähig machte, oder eines Professor Werner Patzelts, Uni Dresden und CDU-Mitglied, oder des CDU-Ministerpräsidenten aus Sachsen, Michael Kretschmer, und der parteipolitischen Linie der AfD keinen, wirklich keinen Unterschied. Die CDU betreibt eine rechtsextreme Kontaminierung, die die wahren Konservativen zu Recht abstößt.
Das gilt übrigens auch für die Leser und das Medienspektrum. Echte Konservative oder nennen wir sie ruhig Rechte – denn Rechtssein an sich ist nichts Verwerfliches – fassen die Neue Zürcher Zeitung, Die Welt und die FAZ nicht mehr an, weil sie in Sachen Flüchtlingsproblematik wie Parteiorgane der Rechtsextremen klingen. Lesen Sie mal einen Artikel auf Welt Online zum Thema Asyl und vergleichen Sie das mit der National-Zeitung. Sie werden in der Stoßrichtung kaum noch einen Unterschied bemerken.
Was jene Bürger betrifft, die sich links verorten, heißt es oft, dass sie die linken Parteien wählen sollen. Ich frage: was sind denn bei uns die linken Parteien? Wie heißen sie?
Denn so wie die CDU mit rechtsextremem Denken unterwandert ist, sind es auch Die Linke und die Sozialdemokraten.
Es besteht meiner Ansicht nach viel eher Bedarf an einem Heimatministerium für parteipolitisch verwaiste Linke, Liberale und Demokratieversessene. Ein Ministerium, das mit der gleichen Leidenschaft, mit der AfD, CSU und CDU konsequentere Abschiebungen fordern, stattdessen mit Verve geradezu fanatisch mit der UN-Menschenrechte-Charta wedelt. Ein Ministerium, das das Grundgesetz vergöttert. Ein Ministerium, das statt auf die Einhaltung der Dubliner Verordnungen, die Abschaffung des Übereinkommens fordert.
Angst vor der Linken
Höre ich eine viertel Stunde lang Oskar Lafontaine zu, wie er die „deutsche Rentnerin“ gegen den Flüchtling oder die Migranten ins Feld führt, frage ich mich, wo wohl in seinem Gesellschaftstableau die türkische Rentenempfängerin aus Essen verortet wird, die nicht mehr zur Tafel darf. Nachdem ich fertig gehört habe – es tut es mir leid- finde ich mich in einem geschlossenen Weltbild mit einem völkischen Verständnis von deutscher Nation wieder.
Wenn Sahra Wagenknecht und ihr Ehemann von der Notwendigkeit einer „politischen Sammlungsbewegung“ sprechen, obwohl sie Parteimitglieder oder Mandatsträger sind, kriege ich Beklemmungen. Die Geschichte des Faschismus in Europa ist geprägt von diesem Sammlungsbewegungs-Terminus. Die Deutschnationalen argumentierten genau wie Lafontaine mit sozialen Umbrüchen, weshalb man bestimmte Gruppen ausschließen müsse, weil sie die Ursache seien, oder vorhandene sozialpolitische Problematiken verschärften. In der Zwischenzeit organisierte sich ganz gemütlich die radikale Rechte und nahm im Parlament Platz; so war es in der Weimarer Republik, so ist es heute.
Länder verhalten sich in ihren politischen Kulturen offensichtlich in historischen Kontinuitäten. „Die Linke“ heute kann für einen wahren Linken keine Heimat sein, solange sie wie Wagenknecht und Lafontaine redet und nur dadurch Wähler-Zuwachs erfährt.
Unter uns: Mehr als vor der AfD habe ich vor dieser Linken Angst.
Von rechts und links gegen Flüchtlinge
Was aber ist eigentlich Rechtsein und Linkssein? So ganz genau weiß ich es auch nicht mehr. Für mich beschreibt es am ehesten die Einordnung des Menschen und sein Schicksal in „Rasse und Klasse“, wie man es früher nannte. In der modernen und aufgeklärten Welt sprechen wir nunmehr von Herkunft, Hautfarbe und Einkommen, was aber das Gleiche meint: nämlich herkunftsbedingte Armut beziehungsweise herkunftsbedingter Wohlstand.
Die Rechten wollen die Unterschiede bewahren, die Linken wollen sie überwinden.
Früher dachten die Adeligen, dass ihnen alles von Natur aus zusteht. Später waren es die Unternehmer und ihre Erben. Sie sagten: „Unser Vater hat dieses Unternehmen aufgebaut und wir wollen es möglichst steuerfrei weiterführen“. Oder anderes Beispiel: Deutschland hat Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen gehört – nach Ansicht der Rechten – allen Herkunftsdeutschen alles und muss abgeschottet werden. Die Gegenposition der Linken wäre: Ein Mensch, eine Welt. Was bedeutet, dass die reichen Nationen Verantwortung für das Wohl aller Menschen auch außerhalb eigener Grenzen tragen. Stichwort: internationale Solidarität.
Was der Rechte „Marktwirtschaft“ nennt, ist in den Augen des Linken „Ausbeutung“. Und so weiter und so weiter, rechts, links halt.
Wenn aber alle Parteien die Bevölkerung nach Zugewanderten und Nicht-Zugewanderten einteilen und dabei zusätzlich die Muslime aussortieren, löst sich alles auf. Dann haben wir es mit Nationalismus zu tun, der sowohl von rechts Migranten und Flüchtlinge attackiert (deutsches Volk, deutsche Kulturgemeinschaft bewahren) als auch von links (deutsche Sozialsysteme schützen, deutschen Wohnmarkt schützen, deutsche Rentner schützen).
Das ist meiner Ansicht nach das Problem der deutschen Parteien. Und nicht das angebliche Vorrücken in die Mitte. Die politische Mitte gibt es in Deutschland nämlich gar nicht mehr.
Lust auf Zukunftsfragen
Und dann gibt es Bereiche, bei denen ich nicht weiß, was eine klassische rechte oder linke Position wäre. Weil alle nur noch über die Flüchtlinge reden. Bin ich eigentlich die einzige Person in diesem Land, die sich wegen der Flüchtlinge in Deutschland so gar keine Sorgen macht?
Ich habe große Lust darauf mehr über Zukunftsfragen zu diskutieren. Wie lauten die Antworten darauf, dass bereits in wenigen Jahrzehnten, die Digitalisierung dafür sorgt, dass Menschen nicht mehr in klassischen Berufen ausgebildet werden, sondern nur noch in Informationstechnologie, weil sie Computer bedienen müssen. Was bedeutet das für die Gewerkschaften? Die Unternehmer? Gibt es dann eine neue Arbeiterklasse? Wird sie international organisiert sein? Wird sie gegen Amazon und Apple kämpfen? Werden sich künftig die indische Baumwollfärberin, die amerikanische Primark-Verkäuferin und der deutsche DHL Bote zusammentun?
Eben noch wurde erbittert über den Mindestlohn für Friseure gerungen, aber wird es den Friseur künftig noch geben? Wird es Lehrer geben? Wird es Ärzte in Praxen geben? Auch im äußersten Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern? Oder gehen künftig Kranke nur noch in Online-Sprechstunden? Wird es Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geben? Wie sehen sie aus?
Wie geht ethisch Auf die Welt kommen und ethisch Sterben, wenn wir sprichwörtlich vom ersten bis zum letzten Atemzug an Maschinen hängen? Was denken die Grünen darüber? Und wie die Linken oder die CDU? Und was meinen die Geistlichen in Kirchen, Moscheen und Synagogen?
Wird es Schüler geben, die noch eine klassische Schule besuchen? Auch die Kinder in den abgelegenen Regionen? Schon heute bekomme ich immer mehr Anfragen von Schulbuchverlagen, die die Nutzungsrechte für meine Texte nicht mehr wie früher für gedruckte Ausgaben erwerben möchten, sondern für Lernplattformen im Internet. Der Schüler wird von seinem Lehrer angeleitet, im Internet sein Lernprogramm zu bedienen. Früher ging dieser Schüler nach dem Mittagessen in den Förderunterricht. Was meint die FDP? Ist das gut? Kann man Bildung menschenwürdig und demokratisch gestalten? Würde das die Benachteiligung von diskriminierten Gruppen möglicherweise reduzieren?
Für die Kinder in Afghanistan wünsche ich mir, dass die Digitalisierung ihnen den Anschluss an die moderne Medizin und das Bildungswesen ermöglicht. Viele afghanische Eltern werden damit einen wichtigen Fluchtgrund weniger haben. Nämlich zu fliehen, um den Kindern eine besserer Zukunft zu ermöglichen.
Ich würde mir wünschen, dass wir uns in Deutschland auf diese Fragen konzentrieren. Denn vom Flüchtlinge Abschieben werden wir weder unser Sozialsystem reformieren noch das Rentensystem retten.
Wir brauchen eine neue Erfolgsdisziplin, denn Waffen oder abgasmanipulierte Autos bringen uns nicht weiter. Und darauf gründet leider unser Wohlstand. Auch der Faschismus, der noch der größte deutsche Exportschlager war, ist nichts, worauf wir erneut setzen sollten.
Digitalisierung und Demokratie, Digitalisierung und Menschenrechte, Digitalisierung und Humanität, Digitalisierung und Liebe, lauter Fragen, für die es Denker und Visionäre bedarf. Es gibt sie längst. In der Philosophie und der Kultur. Aber sie werden nicht gehört. So einen Kongress würde ich mir wünschen. Drei Tage lang nur darüber diskutieren. Mit Anwesenheitspflicht für Bundesminister, aber ohne zu reden, nur Zuhören.
Kann das mal bitte jemand in die Hand nehmen? Wir hier am Haus können das nicht. Wir können ja nicht immer alles machen.
Mely Kiyak
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