Das Leid lässt kalt

Einfach untergegangen. Wie die Menschen und ihre Häuser ist auch die Nachricht einfach so untergegangen. Als an diesem Montag bekannt wurde, dass sich in der Nacht zuvor in der Grenzregion zwischen dem Iran und Irak ein sehr schweres Erdbeben ereignete, war das einen Vormittag lang eine Meldung. Bei den Leitmedien handelte es sich noch nicht einmal um die erste Nachricht.

10.000 Menschen sind verletzt, mindestens 500 starben. Die Gebiete, um die es sich handelt, werden von Kurden bewohnt. Die iranische Regierung ließ ihre Opfer im Stich, es kamen weder Ärzte, Decken oder sonstige Hilfe an. Die betroffenen Städte sind vernichtet, es ist ein solches Inferno, dass die Türkei, trotz schlimmster Repressalien gegen die Kurden im eigenen Land, sofort Hilfslieferungen organisierte.

Ich habe eine Weile darüber gegrübelt, warum so ein Ereignis keine Spuren hier bei uns hinterlässt, warum uns die Bilder nicht erreichen. Mit Erreichen meine ich nicht Empfangen sondern mehr im Sinne von Berühren, Belasten, Beschäftigen.

Der schwere Anschlag auf eine Moschee in Kabul, bei der 70 Menschen auf einmal starben, ist auch so ein Beispiel. Es handelt sich um eine gemeine Anschlagsserie, die schon seit Wochen anhält, bei der radikal-islamistische Taliban es auf gläubige Muslime abgesehen haben und ständig zuschlagen.

Oder ebenfalls in den vergangenen Tagen geschehen: Im Nordwesten Syriens, in Atareb sind bei einem Luftangriff mindestens 60 Zivilisten gestorben. Bei dieser Stadt handelt es sich um ein Gebiet, in dem zehntausende syrische Flüchtlinge Schutz suchen.

Alle genannten drei Regionen und Bevölkerungsgruppen finden sich in unseren täglichen, politischen Diskursen in Deutschland wieder. Es gibt kaum jemanden, der keine Meinung zu Afghanistan, Syrien oder die Kurden vertritt. Ob Journalist oder Leserkommentator, alle wissen Bescheid, Senf ohne Ende. Sobald aber etwas akut in diesen Krisenregionen geschieht, also ganz konkret Menschen, echte Menschen, tragisch ums Leben kommen, ebbt das Interesse an der Diskussion schlagartig ab. Da herrscht Diskursstille. Kommentatorpause. Es wird kurz vermeldet und dann tritt gespenstische Stille ein.

In Syrien sterben die Menschen in den Schutzräumen und unsere Jamaikasondierungsgruppe verhandelt den Familiennachzug für syrische Flüchtlinge. Da müsste man doch eigentlich direkt darauf reagieren, oder nicht? Bei der Suche nach politischen Lösungen spielt die politische Realität der Betroffenen offenbar keine Rolle. Weder hat sich irgendein Sondierer über den Luftangriff in Syrien geäußert, noch erreichen uns weitergehende Berichte aus dem Krisengebiet. Aber jeden Tag wird diskutiert, ob der Familienzuzug ausgesetzt, abgesetzt oder versetzt wird. Auf welcher Grundlage geschieht denn das? Auf der Grundlage von Ressentiments und Ideologie? Man wünscht es sich nicht.

Ich glaube, dass die Rechtsradikalen den Diskurs über Geflohene derart vergiftet haben, dass es in Deutschland kein echtes Bedürfnis mehr gibt, die Situation der Geflohenen aus dem Iran, Irak, Syrien und Afghanistan wirklich zu erfahren. Wer aber ein Interesse daran hat, Schreckensnachrichten über Schreckensflüchtlinge in Deutschland zu lesen, der kann den ganzen Tag in der Onlineausgabe des Springerblattes Die Welt minütlich aktualisiert fündig werden. Die ersten 50 Nachrichten handeln immer davon, dass die Geflohenen da sind, dass sie Täter sind, dass sie Geld kosten, dass sie hinterhältig, dumm und gefährlich sind. Die Skandalisierung, Diffamierung und Denunzierung von Geflohenen ist Normalität geworden. Die Realität hingegen rückt in den Hintergrund. Mehr noch, mit nichts kann man sich in Deutschland derzeit angreifbarer machen, als mit dem Versuch, auf das Leid der Menschen in der Welt aufmerksam zu machen. Sobald man erzählt, dass im Jemen Kinder verhungern, dass in Libyen Männer und Frauen in Lagern gefoltert und vergewaltigt werden, fühlen sich die Zuhörer belästigt und beängstigt.

Als der Dresdener Künstler Manaf Halbouni vor der Frauenkirche ein Kunstwerk ausstellte, das aus drei Bussen besteht und an die Busbarrikade in Aleppo angelehnt ist, hinter der die Kriegsopfer Schutz vor Scharfschützen suchten, drehten Teile der sächsischen Bevölkerung durch. Was man denn mit dem Scheiß sagen wolle? Ob man jetzt Mitleid erpressen wolle? Es war einfach nur eine Skulptur, die daran erinnerte, dass woanders Krieg ist. Und dass an der Stelle, wo die Busse jetzt stehen, auch einmal Krieg war. Künstlerisch betrachtet ist es eine simple Aussage. Historisch betrachtet ein Fakt. Ästhetisch gesehen natürlich wenig filigran, um nicht zu sagen imposant.

Nun steht das Monument, oder wie das Kunstkritikerblatt BILD sie nannte, „Die Schrottbusse“, vor dem Brandenburger Tor. Und wieder gibt es einzelne Stimmen, die meinen, dass die Erinnerung an den Krieg in Syrien eine Zumutung sei. Dass die Kunst eine Zumutung sei. Dass die Geflohenen eine Zumutung seien.

Mit anderen Worten, man soll ignorieren, dass woanders Not herrscht. Aber Krieg ist eine Zumutung. Ich fühle mich dadurch massiv gestört, dass ich zu wenig darüber erfahre. Ich bin genervt und überdrüssig von den Sorgen meiner Mitbürger. Ich kann und will das nicht mehr hören. Ich habe Angst vor Leuten, die das Leid kalt lässt und die sich den Luxus des Mitgefühls nicht leisten wollen. Es stößt mich zum Beispiel ab, dass ein monströser Krieg, wie der in Syrien, bei uns einfach nichts hinterlässt. Ich halte das für desaströs. Diese Stimmungen werden nämlich politisch gesteuert, und ich will mich nicht manipulieren lassen.

Mely Kiyak

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