„Die Katastrophe fängt damit an, dass man aus dem Bett steigt.“

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Zu Ehren Thomas Bernhards, der diese Woche vor 25 Jahren starb, hat der Suhrkamp Verlag ein kleines Büchlein mit dem Titel „Thomas Bernhard für Boshafte“ herausgebracht.
Natürlich klingen Bücher mit Titeln wie „Ionesco für Eilige“ und „Tolstoi für Tussis“ reichlich albern, weshalb „Bernhard für Boshafte“ sich zunächst schrecklich anhört, jedoch und natürlich, fängt man an zu blättern, wie immer herrlich liest. Das Büchlein versammelt Schimpfonaden und beginnt mit einem Zitat aus „Verstörung“:

Die Katastrophe fängt damit an, dass man aus dem Bett steigt.

Es soll immer noch Menschen geben, die nie eine Zeile von Bernhard gelesen haben. Ich beneide diese jungfräulichen Leser. Sie haben krachlederne, derbe, komische Momente vor sich. Sie werden Figuren kennen lernen, die vor Wut geifern, widerlich und ungehalten sind. Wer ein labiles Gemüt hat, sollte die Finger von Bernhard lassen, denn dann wäre sein Werk nur wie Perlen vor die Säue. Wer aber unerschrocken ist und die Boshaftigkeit als ehrlichste Form der Zärtlichkeit dem Leben gegenüber begreift, der möge sofort Bernhard lesen.

Genug der Worte. Zu seinem Jubiläumstodestag schenke ich mir und allen schreibenden Kollegen folgende kleine Betrachtung, die ich aus dem Buch „Bernhard für Boshafte“ abschrieb. Die Textstelle stammt aus „Alte Meister“, die vom 82jährigen Musikkritiker Reger handelt, der eine einzige Sinfonie des Schimpfens und Meckerns abseiert:

Und dann machen diese Schriftsteller sogenannte „Lesereisen“ und reisen kreuz und quer durch ganz Deutschland und durch ganz Österreich und die ganze Schweiz und sie lassen kein noch so stumpfsinniges Gemeindeloch aus, um aus ihrem Mist vorzulesen und sich feiern zu lassen und lassen sich ihre Taschen mit Mark und Schillingen und mit Franken vollstopfen, so Reger. Nichts ist widerlicher, als eine sogenannte „Dichterlesung“, sagte Reger, mir ist kaum etwas verhaßter, aber alle diese Leute finden nichts dabei, überall ihren Mist vorzulesen. Keinen Menschen interessiert im Grunde, was diese Leute sich zusammengeschrieben haben auf ihren literarischen Beutezügen, aber sie lesen es vor, sie treten auf und lesen es vor und machen einen Buckel vor jedem Stadtrat und vor jedem stumpfsinnigen Gemeindevorstand und vor jedem germanistischen Maulaffen, so Reger. Sie lesen von Flensburg bis Bozen ihren Mist vor und lassen sich ohne geringste Skrupel auf schamlose Weise aushalten. Es gibt nichts Unerträglicheres für mich, als eine sogenannte Dichterlesung, sagte Reger, es ist abstoßend, sich hinzusetzen und den eigenen Mist vorzulesen, denn nichts anderes lesen ja alle diese Leute vor, als Mist. Wenn sie noch recht jung sind, geht es ja noch, sagte Reger, aber wenn sie älter sind und schon in die Fünfzig gehen und darüber, ist das nur ekelerregend. Aber gerade diese älteren Schreiber lesen ja, sagte Reger, überall vor und sie steigen auf jedes Podium und sie setzen sich an jeden Tisch, um ihren Gedichtemist vorzutragen, ihre stumpfsinnige senile Prosa, so Reger. Selbst wenn ihr Gebiss keines ihrer verlogenen Wörter mehr in der Mundhöhle halten kann, steigen sie auf das Podium gleich welchen Stadtsaales und lesen ihren scharlatanistischen Blödsinn, so Reger. Ein Sänger, der Lieder singt, ist ja schon eine Unerträglichkeit, aber ein Schriftsteller, der seine eigenen Erzeugnisse zum besten gibt, ist noch viel unerträglicher, so Reger. Der Schriftsteller, der ein öffentliches Podium besteigt, um seinen opportunistischen Mist vorzulesen, und sei es selbst in der Frankfurter Paulskirche, ist ein miserabler Schmierenkomödiant, sagte Reger.

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