Hashtag: Ich bin Herwart

Kiyaks Theaterkolumne Nr. 79

Ich verließ meine Wohnung als Reisende nach Hannover, um die Theaterpremiere „Home.Run“ meines Theaterkolumnistenkollegen Hartmut zu besuchen. Vorweg: Ich reise höchst ungerne. Trotzdem dachte ich: Machste mal eine Ausnahme und schaust, was du Schönes aus dem Schauspiel Hannover kopieren könntest, um es im Gorki nachzumachen.

Ich endete als Hashtag „Sturmopfer Herwart“.

Herwart. Ist das schon der befürchtete Einfluss der AfD, dass man in Deutschland bei Namensvergaben für bedrohlichen Wetterumschwung in altgermanischen Mythen kramt? Wie wird der nächste Sturm heißen? Hödur? Reichstag? Sturmtief Mustafa kann man sich künftig wohl abschminken.

Ich will mich jetzt nicht darüber mokieren, dass in Deutschland jeder Pustewind dafür sorgt, dass kein Zug mehr fährt. Darüber haben sich schon genügend andere lustig gemacht. Was ist schon amüsant daran, dass es einer führenden G8 Nation bei starken Windboen auch nicht anders geht als einem Drittweltstaat, dem die Wellblechdächer wegflattern? Okay, einen Unterschied gibt es. Im Drittweltland geht wenigstens noch das Internet.

Was ich nicht verstehe: warum das W-Lan im ICE nicht für alle reicht. Also nicht bei Sturm, sondern bei Normalwetter. Wenn man sich einloggt, bekommt man den Hinweis, dass man nicht zu viel Internet verbrauchen soll, damit es auch für die anderen Reisenden reicht.

Was bloß unsere ausländischen Gäste denken, wenn sie mit einem deutschen Zug fahren, der weder pünktlich noch sauber, dessen Fahrt aber sauteuer ist? Vielleicht, dass es sich bei deutschem W-Lan um nachhaltiges und fair gehandeltes Bio-Internet aus recyceltem Datenmüll handelt? Man muss so ein lahmes Internet im Hochleistungszug nur zu verkaufen wissen: „Jetzt mit extra slow“, und die Leute sind verrückt danach.

Die Deutsche Bahn suchte nach Namen für die neuen ICE 4. Jeder konnte Ideen einreichen. Eine Jury wählte die 25 besten Namen aus. Einer der Züge soll „Anne Frank“ heißen. Ob die Jungfernfahrt über Bergen-Belsen führt? Ähnlich sensible und feinfühlige Vorschläge, das kann ich hier versichern, folgen bei den Radikal Jüdischen Kulturtagen am Gorki, die heute beginnen.

Vielleicht sollte sich die Deutsche Bahn vom gesamten Themenkomplex 2. Weltkrieg fernhalten. Und ihrem Personal in Zügen und an den Schaltern diesen speziellen Sturmbannführer-Ton abgewöhnen. Vielleicht ein erster und aufrichtiger Schritt zur Wiedergutmachung.

In der heiligen jüdischen Schrift, der Tanach, heißt es: „Freundliche Reden sind Honigseim, trösten die Seele und erfrischen die Gebeine.“

ICE König Salomo, das wär’s!

Neulich fragte mich „mein“ Flüchtling: „Was wollt ihr Deutschen?“.
Ich habe ihn gar nicht kapiert.
„Wollt ihr Syrer denn irgendwas?“, fragte ich zurück.
„Ja. Frieden.“
„Hm. Verstehe. Ich glaube, wir wollen nichts.“

Da fiel es mir auf. Was ist eigentlich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich
a l l e in Deutschland einigen können?

Was ist Deutschlands Traum? Mehr Netto vom Brutto?

Was soll ich sagen? Ich fühle mich manchmal fremd im eigenen Land.

Der Theaterabend am Schauspiel Hannover handelte übrigens davon, was herauskommt, wenn eine Hessin aus Kassel einen kurdischen Araber aus Jordanien in England heiratet: Samer Hartmut El Kurdi.

Humor hatten sie ja, die beiden Turteltauben mit Migrationsschicksal.

Alles Gute, bis bald
Mely Kiyak

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