Le Mensch

Kiyaks Theaterkolumne Nr. 78
Hin und wieder erreicht mich der Vorwurf, dass ich nicht zwischen Rechten und Rechtsextremen unterscheiden würde. Meist geschieht es dann, wenn ich von der AfD als eine rechtsextreme Partei spreche. Nicht, dass es eine Rolle spielen würde, aber ich verrate ein Geheimnis: Gegen Rechte habe ich nichts einzuwenden, außer einen Sack voll politischer Gegenansichten.

Rechtssein geht demokratisch betrachtet, selbstredend in Ordnung. Zumal sich die konservativen Rechten, ja sogar die reaktionären Rechten, permanent in die Tasche lügen. Als ob die Bewahrer der guten alten Werte und Sitten nicht auch Schritt mit der Moderne hielten. Vor dreißig Jahren fanden es Konservative noch extrem schrill, wenn ein Ehemann, der seine Ehefrau vergewaltigt, strafrechtlich verfolgt werden sollte. Heute wird man in der CSU und CDU sicher lange suchen müssen, bis man einen findet, der meint, dass ehelicher Verkehr unter allen Umständen vollzogen werden müsse, auch wenn die Gattin nicht will. Die Liste solcher Beispiele ist lang. Nach und nach kippen die Rechten ihre vermeintlich betonierten Ansichten und trinken Sektchen auf schwule oder lesbische Eheschließungen und ich persönlich werde nicht müde zu betonen, wie FAZ-Kollegen in der Gorkikantine freitags auf den Tischen tanzen und alles Mögliche tun, außer Fisch essen und beten.

Tatsächlich meine ich rechtsextrem, wenn ich das Wort rechtsextrem hinschreibe. Es handelt sich dabei um eine politische Kategorie, die ein Sammelbegriff für sämtliche Strömungen rechts von den Rechten ist. Neofaschisten, Neonazis und Nationalisten sind damit gemeint. Die anzutreffen ist jedoch eher ein seltenes Vergnügen.

Das rechtsextreme Massenphänomen aus der gegenwärtigen Mitte unserer Gesellschaft zeichnet sich durch etwas völlig anderes aus. Die Neue Rechte ordnet Menschen, deren Vorfahren aus dem Orient stammen, dem Islam zu, um sie dann auf dieser Grundlage als Verfassungsfeinde, Demokratieverweigerer, Terroristen oder sonstige Gefährder der inneren Sicherheit und sozialen Ordnung zu behandeln. Sie argumentiert in diesem Zusammenhang mit dem Islamismus und setzt ihn in irgendeine Verbindung zu jedem Menschen, dessen Großvater mal in der Nähe eines Minaretts ein Stück Wassermelone aß.

Die moderne Politikwissenschaft hat den Begriff des Rassismus durch den der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ausgetauscht. „Der Islam“ beispielsweise stellt keine Rasse dar. Wer „der Islam“ sagt, meint damit die Muslime. Die meisten Menschen, die man dem islamischen Kulturkreis zuordnet oder einfach Muslime nennt, sind keineswegs eine einheitliche Gruppe. Menschen aus Syrien, Jordanien, Libanon oder dem Irak sind Bürger aus klassischen Vielvölkerstaaten mit pluralen religiösen und kulturellen Herkünften und unterschiedlichen Sprachen. Diese Unterschiede gehören neben vielen anderen zu den Gründen warum sie in Konflikt miteinander geraten und fliehen müssen.

Über aufgezwungene Zuschreibungen und darüber, dass Menschen viele Identitäten haben, hat Alfred Grosser, der 92-jährige Publizist, in diesem Frühling ein Buch veröffentlicht: „Le Mensch – Eine Ethik der Identitäten“.

„Die Engländer, die Juden, die Moslems, die Flüchtlinge, die Katholiken, die Nachbarn, die Ärzte, die Hausfrauen, die Apotheker, die Landwirte: Das „Die“ kommt entweder von außen oder von Gruppenvertretern, die behaupten, alle zu vertreten, die das „Die“ angeblich umfasst.“

Wer die Betrachtung auf das „Die“ von außen als politische Kategorie teilt, ist in der AfD ganz gut aufgehoben. Der kann dann sicher auch mit solchen Sätzen etwas anfangen, etwa dass „in deutschen Innenstädten nur noch vereinzelt Deutsche zu sehen sind“ (Jörg Meuthen). Gemeint sind damit immer Muslime, nie Christen, Juden oder Buddhisten. Dass deutsche Staatsbürger als Muslime fremdmarkiert werden, wirft einen natürlich zurück in eine völlig andere Zeit. Zurück zu einem Nationalismus, dessen zentrale Erzählung um das ethnisch homogene deutsche Volk kreist. Im AfD-Wahlprogramm steht, dass „der Islam“ die europäischen Werte des Zusammenlebens aufgeklärter Bürger bereits zerstöre, wogegen ein Bündel „Maßnahmen“ ergriffen werden müsse.

Wie die Maßnahmen wohl aussehen werden? Ich weiß es nicht. Wie könnte man deutsche Muslime wohl wieder loswerden? Und wie will man späteren Generationen glaubhaft machen, dass man mal wieder von nichts wusste, keine Ahnung hatte?

Hans-Thomas Tillschneider, einer der rechtsextremen Chefdenker aus der AfD sagte vergangenes Jahr:

„Wir müssen uns wieder als Deutsche denken. Wir dürfen uns das nicht madig machen lassen von Leuten, die schon seit Jahrzehnten die Gefahr eines neuen Nationalismus beschwören. Wir müssen wieder zu einem Bewusstsein finden, das unsere politischen Meinungen zweitrangig sind, dass wir zuerst und vor allem Deutsche sind, bevor wir Liberale, Konservative oder Linke sind.“

Björn Höcke sprach auf derselben Veranstaltung von der benötigten „Hinwendung zu einem neuen Mythos“.

Wie das genau funktionieren soll, in Hinwendung zu einem neuen Mythos sich wieder als Deutsche zu denken, ist mir nicht ganz klar, aber ich ahne wohin die Reise geht. Im Moment ist die Partei nämlich schwer damit beschäftigt, sich überall da, wo sie mitregiert, einen Überblick darüber zu verschaffen, wer „linksliberale Vielfaltsideologie“ betreibe, um den jeweiligen Kulturinstitutionen „eine Absage zu erteilen“ und Subventionen zu streichen (Tillschneider). In diesem Zusammenhang fiel übrigens auch der Name des Gorki Theaters. Es geht um den Versuch, das deutsche Volk umzuerziehen. Gewissermaßen zurück zur alten Software.

Hier ein winziger Auszug aus den Berichtsanträgen der AfD aus dem Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses:

Wie bestimmt der Senat den gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Förderung von Stipendien für nicht-deutsche Muttersprachler?

Wir bitten um Auflistung aller Projekte der Homosexuellen-Szene, die in Berlin gefördert werden.

Welche Personen und Organisationen werden unter „Muslime in Berlin (Muslimische Kulturtage)“ und „Muslimische Bildung/Akademiearbeit“ gefördert?

Wenn man das liest, wird doch einiges deutlich, nicht wahr? Um das Phänomen der AfD zu verstehen, um die Ideologie dahinter zu demaskieren, muss man die Bereitschaft haben, ihr Kernanliegen aus dem Morast der inszenierten und nicht-inszenierten Skandale herauszuschälen.

Es ist nicht ganz leicht, sich selbst immer wieder aus dem Staunen herauszureißen und zu ermahnen, dass es mit Zuschauerschaft alleine nicht getan ist.

Im Gorki passiert vieles, was als Gegenprogramm zur AfD verstanden wird. Weil sich hier natürlich alles aufhält und abspielt, was in deren Augen eine Staatsgefahr darstellt. Trotzdem ist ein Theater ein Theater und weder der künstlerische Arm der politischen Opposition, noch die Pressestelle der Antifa und auch kein Zitatautomat. So zu argumentieren würde nämlich bedeuten, in der Lesart der Rechtsextremen zu argumentieren. Die wollen die Läden nämlich übernehmen, um Propaganda zu betreiben, als eine Art Außenstelle des Bildungsministeriums. Das Theater ist aber ein Ort der Freiheit, der Utopie, an dem sich der Künstler mitteilt.

Mal sehen, wie lange wie hier am Festungsraben noch „Vielfaltsideologie“ betreiben können. Wenn ich nicht irre, steht unser kleiner Mischmaschpalast, der Abend für Abend dem Irrsinn des Pluralismus verfallen ist, ganz oben auf der Liste der abzuschießenden Theater.

Fortsetzung folgt, verehrte Freunde.

Herzlich grüßt aus der international verkeimten Zone
Mely Kiyak

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