Zwei Ereignisse haben mich in den vergangenen vierzehn Tagen bewegt und berührt. Da war zum einen das Interview mit Claus Peymann in der gedruckten ZEIT. Peymann ist Theaterdirektor des Berliner Ensembles, 80 Jahre alt und wird bald ersetzt. Gegen seinen Willen. Das Berliner Ensemble ist ein Theater, das in direkter Nachbarschaft zu unserem Gorki steht.
Das Berliner Ensemble gehört einer Privatperson. Nämlich dem Schriftsteller und Dramatiker Rolf Hochhuth („Der Stellvertreter“), der eine Stiftung gründete, um diesen komplizierten Sachverhalt juristisch zu ermöglichen. Er, beziehungsweise die Stiftung, verpachtet die Immobilie an das Land Berlin, die das Haus dem Theater weitervermietet. In den Pachtvertrag hat sich Hochhuth reinhandeln lassen, dass seine Stücke am Haus gespielt werden. Was natürlich nie geschah. Als Hochhuth das Haus kaufte, war Heiner Müller seinerzeit Direktor.
Im SPIEGEL gab es dazu 1995 ein unterhaltsames Interview:
SPIEGEL: Ensemble-Direktor Heiner Müller wirft Ihnen den Versuch einer „feindlichen Übernahme“ vor, in aller Stille hätten Sie eine „wunderbare Intrige“ ersonnen.
Hochhuth: Ja wo ist denn die Intrige? Herr Müller, erzogen von der SED, hat es bislang genauso gehalten wie die SED. Die DDR hat das Haus 40 Jahre lang betrieben, ohne den Erben ein einziges Mal auch nur hundert Ostmark Miete anzubieten. Und Herr Müller betreibt das BE nun auch schon zwei Jahre und hat den Erben nicht eine Mark gezahlt.
SPIEGEL: Heiner Müller kontert mit dem abgewandelten Brecht-Zitat: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen den Kauf einer Bank.“
Hochhuth: Zweimal bin ich beim Berliner Ensemble um eine Stelle in der Intendanz vorstellig geworden. Das zweite Bewerbungsschreiben habe ich mit den Worten begonnen: „Lieber Confrere Müller, Sie sind der einzige Sterbliche, bei dem ich zum zweiten Mal in Demut um Arbeit nachsuche.“ Jetzt macht er sich lustig über mich.
SPIEGEL: Auch wenn das Brecht-Theater wie geplant in Stiftungsbesitz überführt wird, bleibt zunächst alles beim Alten. Sie sind dann zwar Eigentümer des Hauses, aber Sie können dem Direktorium nicht vorschreiben, welche Stücke es auf den Spielplan zu setzen hat.
Hochhuth: Ich finde es schon komisch, wenn ausgerechnet die Leute, die uns Autoren unterdrücken, auf der Freiheit des Spielplans beharren. Während der ganzen DDR-Zeit wurden Weststücke hier in Ost-Berlin fast nie zugelassen, und dafür trägt ein Mann wie Heiner Müller, der ja lange Dramaturg im Deutschen Theater war und der auch sonst in Theaterkantinen Politik gemacht hat, mehr Verantwortung als die SED. Denn dass nicht Honecker und Ulbricht für ein Verbot gesorgt haben, belegt das Beispiel von Hanns Perten in Rostock. Der hat uns alle gespielt und dann sogar, nach Abzug von 25 Prozent, in Westgeld honoriert.
Er hat völlig Recht, der Rolf Hochhuth! Die West-Autoren waren die Unterdrückten!! Hier das ganze Interview: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9184872.html
Dann folgte Claus Peymann auf Heiner Müller. Hochhuths Stücke wurden immer noch nicht aufgeführt, mehr noch, Peymann erteilte Hochhuth Hausverbot und umgekehrt. Hochhuth regaierte mit dem für Vermieter üblichem Mittel: er kündigte dem Theater. Wenn ich es recht erinnere, jedes Jahr aufs Neue.
Was sehr formal und abstrakt klingt, sah „in echt“ so aus, dass Hochhuth mit dem Probentext in der Hand versuchte, das Theater zu stürmen und Peymann ihn persönlich rauswarf. Hin und wieder erlaubte sich Peymann, das Theater unterzuvermieten. Zum Beispiel an Dieter Bohlen, damit der seine Castingshow dort aufzeichnen konnte. Ein anderes Mal bot Peymann dem RAF’ler Christian Klar einen Praktikumsplatz an. Der Direktor und der Dramatiker nahmen damit vorweg, was Jahrzehnte später Tausenden von Mietern in Berlin bevorstand. Nämlich der Streit darüber, was sie in ihren gemieteten Objekten anstellen dürfen, Stichwort Ferienwohnungen. Ich sage nur airbnb am Schiffbauerdamm.
Ich hoffe, man bemerkt, wie ich mich hier beim alte Geschichten Nacherzählen mit wertenden Adjektiven betont zurück halte. Ich möchte lediglich diesen einen Begriff fallen lassen: Bescheidenheit.
So und jetzt ein kleiner unkommentierter Ausschnitt aus dem Interview, das der scheidende Theaterdirektor Claus Peymann der ZEIT gab und das mich – ich erwähnte es oben – nachhaltig ergriff. Ursprünglich sollte es ein Doppelinterview mit Frank Castorf sein, der aber im letzten Moment absagte.
Peymann: „Diese einmalige Publikumssympathie haben Sie an unserem Abschiedsfest erleben können. Der Jubel wollte kein Ende nehmen. Ich musste das nach 40 Minuten abbrechen, damit das Feuerwerk steigen konnte, sonst hätten die bis ins Morgengrauen weitergeklatscht.
(…)
Auch mir hat die Idee eines gemeinsamen Interviews mit Frank Castorf gewaltiges Kopfzerbrechen gemacht. Ich schätze ihn, wir sind die gleiche Gewichtsklasse. Ich sage immer: Er ist der König der Feuilletons. Ich bin der König der Herzen. Ich versteh auch, dass er kneift- aber ich habe keine Angst, ich geh ins Feuer!
(…)
Das Einzige, was mich unangreifbar macht und mich bestätigt, ist die Liebe der Zuschauer. Spazieren Sie mal mit mir durch Stuttgart, durchs dunkle Bochum, durchs imperiale Wien – oder laufen mit mir morgens im Wald von Köpenick – selbst die Wildschweine wollen ein Autogramm!“
Apropos: da gehen sie hin die alten Zeiten. Das zweite, einschneidende Ereignis war Helmut Kohls Beerdigung mit diesem unfassbar prächtigen Sarg aus der „Sargfabrik Glunz“, über den der Branchendienst Meedia einen sehr sehr lustigen Text schrieb, indem er die Öffentlichkeit darauf hinwies, dass die Sargbauer ein Reklamefilmchen auf YouTube hochluden. Das firmeneigene Werbevideo ist in seinem look ob seiner strikten Abwesenheit jeglicher Agentur-Ästhetik wahrlich fabelhaft. Es erhält zwei Kernbotschaften:
Betriebsleiter der Sargfabrik Glunz: „Rein zufällig war der Bestatter, den Helmut Kohl seine Witwe gewählt hat, unser Kunde“.
und
„Helmut Kohl habe ich als Kind und Jugendlicher als starke Persönlichkeit für Deutschland empfunden.“
Hier das ganze Video, in dem der Sarg („Eiche rustikal mit Buchdeckel“) genau beschrieben wird: https://www.youtube.com/watch?v=MN4HrGkYUEY
Was mich an der ganzen Beerdigungszeremonie überwältigte, war „dem Helmut Kohl seine Witwe“ Maike. Sie sah wirklich rattenscharf aus. Wir haben jetzt auch eine Jacky Kennedy und zwar in Ludwigshafen. Ich verurteile den Dokumentationskanal Phoenix auf heftigste, dass sie es in 150 Stunden Liveübertragung nicht einmal schafften, einen Kameraschwenk über Maike Kohl-Richters Beine zu wagen. Sie sah toll aus. Ich weiß ganz genau, von wem sie diesen Blick, den sie von linksunten aus ihrem Filzhütchen nach rechtsoben durchs Trauernetz schickte, abgeguckt hat. Von Prinzessin Diana,
– Friedeaufihreasche – wie man in Neukölln sagt.
Die inhaltliche Bandbreite der Rednerbeiträge ging von Jean Claude Junckers „Ohne Kohl hätte es den Euro nie gegeben“, zu Bill Clintons „we love you“. Der Rotz und Wasser heulende Bill Clinton, der verzweifelt um Trost suchend seine Hand in Angela Merkels Schoß schob, ist für mich ein Moment, den ich niemals vergessen werde. Die Bilder, die ich sah, waren g ö t t l i c h!
Auch wir gehen dahin in Frieden. Nämlich in die Sommerpause. Unsere Theaterpräsidentin Shermin Langhoff hat heute früh eigenhändig weiße Bettlaken über die Theatersitze geworfen. Bei unserem Sommerfest klatschten wir im Stehen 40 Minuten lang bis sie das Ganze beendete, damit ihr zu Ehren das Feuerwerk steigen konnte. Ich werde persönlich mit ihr die S-Bahnlinie 5 nach Straußberg-Nord im Dunklen nehmen, weil uns die Nachricht erreicht hat, dass ein paar Wildschweine und NPD-Wähler ein Autogramm begehren.
Wenn wir wiederkommen, wird es das Berliner Ensemble, so wie wir es kannten, nicht mehr geben. Auch die Volksbühne wird eine andere sein.
Wir aber bleiben hier. Immer auf der Seite derjenigen, die das Leben und die Menschen lieben. Wir vergessen niemals jene, die stellvertretend für unsere Freiheit im Gefängnis sitzen. Und wir hören nie auf, daran zu erinnern, dass einer in diesem Sommer in unserer Mitte fehlt:
Deniz.
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