Angela Merkel sitzt im pinkfarbenen Sesselchen und modernisiert Deutschland

Kiyaks Theaterkolumne

So. Nun können wir auch hinter diese Sache einen Haken machen. „Ehe für Alle“ so gut wie durchgesetzt. Ist das nicht famos? Wie schnell es geht, dass eine Kanzlerin ihre Ansicht über ein Thema ändert, bloß weil alle anderen es zur Koalitionsvoraussetzung machen?

Die Republik unter Merkels Führung wird oft innerhalb von Sekunden modern. Es sind jene Momente, in denen die Kanzlerin sich in die Ecke gedrängt fühlt, weil außerhalb ihres Wirkungsbereiches etwas vor sich geht, über das sie die Kontrolle verliert. Das war beim Ausstieg aus der Kernkraft so und bei der Entscheidung die Flüchtlinge aus Ungarn abzufangen. Immer geschah zuvor etwas Unvorhergesehenes. Fukushima oder das rabiate Vorgehen der Ungarn gegenüber den Flüchtlingen oder der Parteibeschluss der Grünen, dass die „Ehe für Alle“ eine Bedingung für eine Zusammenarbeit darstelle, dem die SPD und die FDP folgten. Merkel wittert Umbruch, also macht sie den Weg frei. Ohne vorherige Absprache mit ihrer Partei.

Eben noch Reformstau und Beton in den Köpfen und auf einmal scheint es, alles sei möglich. Mein Gott, was kommt als nächstes? Wahlrecht für Migranten, die schon seit einer halben Ewigkeit hier leben?

Ich möchte es doch noch einmal für die Geschichtsbücher festhalten. Der Moment, in dem die Ehe für Homosexuelle von der Kanzlerin quasi im Alleingang entschieden wurde, vollzog sich in unserer kleinen Inklusionsstätte am Festungsgraben. Hier bei uns im Gorki saß die Kanzlerin auf einem pinkfarbenem Kunstledersesselchen, das Jackett trug den Farbton kräftige Koralle, und ließ sich von der Zeitschrift „Brigitte“ interviewen.

Ist amüsant, nicht wahr? Dass ein Frauenmagazin im Tante-Hedwig-Style, dessen Kernthema der perfekte Käsekuchen und die perfekte Hose mit dem perfekten Sitz ist, also eine Illustrierte, die unter dem Bann der totalen Vermeidung alles Politischen entsteht, zu einem Gespräch mit der Kanzlerin einlädt. Und zwar an einen Ort, an dem vieles gelesen und gewählt wird, die Brigitte und die CDU jedoch zu den seltenen Hauptinspirationsquellen am Haus zählen, zumindest nicht im affirmativen Sinn. Dass jedenfalls hier an diesem Ort, wo wirklich jeder mit jedem schläft, alle im falschen Körper stecken, falsches Deutsch sprechen und mit falschem Pass eingereist sind, dass in dieser Erstaufnahmeeinrichtung für Verquerte und Verliebte, die konsequent in jeder Inszenierung eine Federboa als Zeichen des Widerstandes im Windkanal der Ventilatoren aufpuscheln lassen, in der sich jeder ein „Macht kaputt was euch heteronormativ macht“ in den Nacken eintätowiert hat, in der Kantinenkollegen Kaffee servieren und dabei „bötteschön, ein Tässchen Dallmayr Pro-Homo“ näseln, dass hier bei uns der konservativen Kanzlerin und Vorsitzenden der Union ein zwar verzwirbeltes, also im original Merkelschen Duktus vorgetragenes Bekenntnis zur Homo-Ehe entlockt wurde? Doch, verehrtes Publikum, das ist amüsant!

Ich mache es kurz. Ich warne jeden nationalkonservativen Bürger in diesem Land: Betretet nicht das Gorki! Die drehen Euch um! Ich versuche mich, so gut es geht, in der Nähe des Deutschen Theaters oder des Berliner Ensembles aufzuhalten, damit ich schön die bleibe, die ich bin: ein einfaches, aber ordentliches Mädchen vom Land, das pünktlich um 21 Uhr zu Hause ist und genau eine Liebesstellung kennt. Nämlich freundliches Nicken.

Eine letzte Frage noch. Vielleicht die deutscheste aller Fragen. Darf man, wenn die „Ehe für Alle“ im Gesetz festgeschrieben ist, Witze über Homosexuelle machen? Darf man? Darf man? Gibt ja Leute in diesem Land, die wie ein Hund leiden, weil die Meinungsfreiheit unter der Herrschaft der political correctness erstickt wurde. Wir haben im Haus eine Sitzung („Schwule-Scherz-AG“) einberufen und beschlossen, dass wir im Tausch für jedes Bürgerecht, das eine unterprivilegierte Randgruppe erhält, einen Witz aus unserer Geiselhaft entlassen:

Zwei Tunten geraten unverschuldet in einen Autounfall.

Eine Tunte steigt aus, um mit dem Schuldigen zu verhandeln.

Schuldiger: „Ich zahl dir 1.000 € wenn du nicht die Bullen rufst!“

Tunte: „Waltraud, ruf die Polizei!“

Schuldiger: „5.000 €!“

Tunte: „Waltraud, ruf die Polizei!“

Schuldiger: „Mein letztes Wort: 10.000 €!“

Tunte: „Waltraud, ruf die Polizei!“

Schuldiger: „Wisst ihr was? Leckt mich doch am Arsch!“

Tunte: „Waltraud, er will verhandeln!“

In meiner letzten Kolumne habe ich verpasst, folgendes zu erwähnen. Ich war für mehrere Monate unpässlich und konnte nicht schreiben. In dieser Zeit sprang der andere große Theaterkolumnist dieses Landes für mich ein: Hartmut El Kurdi. Sie erinnern sich, er ist derjenige, der das Gleiche wie ich, allerdings für das Schauspiel Hannover macht. Mein Nachwuchs gewissermaßen. Ich fragte ihn, ob er in Vertretung für mich einen Text schreiben könne. Er konnte. Allerdings rang ich ihm zuvor das Versprechen ab, dass er nicht lustiger oder klüger sein dürfe, als ich es sonst bin. Er versprach mir hoch und heilig, sich anständig zu benehmen. Dann las ich seine Vertretungskolumne und drehte schier durch. Er knallte ein Pointenfeuerwerk sondergleichen ab. Nie zuvor schrieb er einen so tollen Text. Seinen eigenen Theaterkolumnenabonnenten mutet er Monat für Monat wesentlich unaufregendere Texte zu.

Ich blieb trotzdem ruhig und gab den Text zur Veröffentlichung frei. Weil ich mir sagte, dass ich mich schließlich vierzehntägig für diese Gemeinde hier abrackere und dass meine Abonnenten sich doch wohl nicht von der Nummer Zwei in dieser Branche blenden lassen würden. Außerdem ist das hier Berlin. Hier wird jeder Neuankömmling mit einem freundlich gemeinten „Zisch ab!“ empfangen. Kaum war sein Text unter der Überschrift „Mely Kiyak fühlt sich nicht“ erschienen, trudelten die ersten Reaktionen ein.

Was für ein fantastischer Kerl!
Was für ein lustiger Erzähler!
Was für ein charmanter Schreiber!

Nach diesen verheerenden Reaktionen stellten wir die Aktion natürlich sofort ein.

Ich melde mich in zwei Wochen wieder. Vielleicht mit ersten Fotos von unserem Sommerfest. Was wir machen? Was macht wohl eine Horde Ausländer, wenn sie nicht arbeiten muss und einen Garten vor der Tür hat? Ganz genau!! Kanzlerin Merkel wohnt ja gegenüber von unserem Garten. Sie sollte an diesem Tag Fenster und Türen geschlossen halten. Als beim letzten Gelage die Grillkohle ausging, fingen sie an, die Kulissen aus der ersten Spielzeit unter die Hammelspieße zu schieben. Die kennen hier kein Halten, wenn es ums Feiern geht.

Bis bald,
Ihre Mely Kiyak

PS: Gerade lese ich in der FAZ einen Kommentar von Reinhard Müller zur „Ehe für Alle“. Er ist pikiert. Denn die Keimzelle der Gesellschaft sei nicht das Reagenzglas und „am Anfang standen Mann und Frau“. Jemand muss der FAZ mitteilen, dass selbst die seriöse Bibelwissenschaft die Heilige Schrift als Literatur einstuft. Und dass die Reagenzglaskultur zur Kinderzeugung im Wesentlichen von heterosexuellen Ehepaaren genutzt wird. Wahnsinn, wie unterhaltsam das doch noch wird.

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