Gemeinsam mit dem andalusisch-deutschen Lyriker José F.A. Oliver habe ich im Sommer 2013, als auf dem Taksim-Platz die Gaspatronen der türkischen Sicherheitskräfte auf Zivilisten hinabknallten, in langen Istanbuler Nächten Ahmed Arifs Gedichte ins Deutsche übertragen.
Ahmed Arif war ein kurdischer Dichter, der 1927 in Diyarbakır zur Welt kam. Um den Jungen vor Flausen zu bewahren, schickt sein Vater ihn nach Ankara, . Arifs erstes Gedicht hieß 33 Kurşun, auf Deutsch 33 Kugeln. In dem Gedicht verarbeitet er den sogenannten Muğlalı-Fall. Die Zahl bezieht sich auf 33 Kurden, die 1943 von der türkischen Armee in der Provinz Van erschossen wurden, weil sie in der Grenzregion geschmuggelt hatten. Der Fall beschäftigte bis 1956 das türkische Parlament, weil der Skandal darin bestand, dass vor dem Erschießungsbeschluss ein Protokoll angefertigt wurde, aus dem hervorging, wie man hinterher den Fall vertuschen könne. Der Tötungsbefehl kam von General Muğlalı, nach dem bis 2011 eine Militärkaserne benannt war. Dieses erste Gedicht brachte Arif direkt ins Gefängnis. Das meinte sein Vater mit Flausen. Nach zwei Jahren kam Arif raus und hat doch nie aufgehört zu schreiben, denn ein Dichter dichtet; das ist nun einmal sein Beruf.
Ahmed Arif zählt zu den meist gelesenen Lyrikern der Türkei. Es gibt praktisch niemanden, der seine Verse nicht auswendig kann. Auf Deutsch gibt es leider nur Übersetzungen, die nicht annähernd seine Sprachmelodie treffen. Ich würde diese Melodie wie eine Welle beschreiben, die gleichmäßig ans Ufer schwappt, sich dort bricht und besonnen zurück ins Meer gleitet.
Als ich José fragte, ob wir das Experiment wagen, gemeinsam zu übersetzen, war er sofort dabei. Mit Stift und Zettel saßen wir am Bosporusufer und drangen tief in die Bedeutung der Sprachbilder ein. Zunächst übersetzte ich ihm das Gedicht wortwörtlich, denn José sprach kein Türkisch. Dann begannen wir gemeinsam den Sinn nachzudichten und gingen wieder zurück zu Arifs Aussage. Ganz zum Schluss hoben wir aus den Sätzen eine Melodie. Wir versuchten es jedenfalls. Ich lernte viel von Josés Kunst des Übersetzens, er würde es so betonen: Über– Setzen, im Sinne von Ufer wechseln. Er ist ein fantastischer Lehrer!
Die folgende Passage ist aus dem Gedicht Anadolu/Anatolien. Dort beschreibt Arif die historische und seelische Topografie Anatoliens. An alle, die in diesen Tagen verzweifeln ob der Verwerfungen und Trübungen an jedwedem Ufer:
Stürze nicht in dich zusammen
So elend und so fremd
Wo du auch bist
Im Verließ und auf der Straße, im Hörsaal, in der Menge
Beuge dich nicht – Sei Widerstand
Spuck’ ihm ins Gesicht
Dem Speichellecker, dem Intriganten, dem Verräter
Sei Widerstand mit deinem Wissen
Sei Widerstand mit deinem Tun
Sei Widerstand mit Haut und Haaren
Mit Hoffnung, Liebe, deinem Traum
Sei Widerstand, enttäusche mich nicht
Schau, ich habe immer aus mir geschöpft
Mit Würde und mit Mut
Und die,
Die nachkommen
Bleiben unverzichtbar
Sie werden meine unerhörte Sehnsucht zähmen
Ich küsse deine Augen
Ich küsse deine Augen
Ich vertraue dir
Ich weiß, du begreifst
(Ausschnitt aus Anadolu von Ahmed Arif, Nachdichtung Kiyak/Oliver)
Öyle yıkma kendini,
Öyle mahzun, öyle garip…
Nerede olursan ol,
İçerde, dışarda, derste, sırada,
Yürü üstüne – üstüne,
Tükür yüzüne celladın,
Fırsatçının, fesatçının, hayının…
Dayan kitap ile
Dayan iş ile.
Tırnak ile, diş ile,
Umut ile, sevda ile, düş ile
Dayan rüsva etme beni.
Gör, nasıl yeniden yaratılırım,
Namuslu, genç ellerinle.
Kızlarım,
Oğullarım var gelecekte,
Herbiri vazgeçilmez cihan parçası.
Kaç bin yıllık hasretimin koncası,
Gözlerinden,
Gözlerinden öperim,
Bir umudum sende,
Anlıyor musun?
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