#WerbtNichtBeiNeorechten

Kiyaks Theaterkolumne
Als Strategiedirektor Gerald Hensel von der Werbeagentur Scholz & Friends vor einigen Wochen die Kampagne #KeinGeldfürRechts ins Leben rief, tat er eigentlich nichts Außergewöhnliches. Er hatte bloß eine Liste vorgelegt, in der er alle ihm bekannten Medien auflistete, die rechtsextreme Inhalte in Form von Meinungen, Kommentaren und Kolumnen veröffentlichen. Das Geschäft der Neuen Rechten spielt sich ja im Wesentlichen im Meinungsbusiness ab.

In Hensels Liste tauchten Breitbart.com oder Politically Incorrect auf. Was dann geschah, war vorhersehbar. Hensel machte all das durch, was Autoren, die sich mit diesem Thema kritisch beschäftigen, auch schon erlebt haben. In den genannten und weiteren Blogs gab es eine massive Denunziationskampagne. Er wurde in eine Reihe mit Nationalsozialisten und den „Kauft nicht bei Juden“-Boykotten gestellt, Morddrohungen inklusive, die ganze bekannte Folklore halt. Einfach nur, weil er vorschlug: „Werbt nicht bei Neorechten“.

Auch die Kunden von Scholz & Friends wurden belästigt. Und so hielten es Gerald Hensel und seine Agentur etwa zwei Wochen durch. Hensel verließ seinen Arbeitgeber, betonte aber, dass Scholz & Friends hinter ihm stehe. Die Agentur veröffentlichte wiederum einen Text auf ihrer Homepage, der – nun ja, Rückhalt klingt irgendwie anderes – aber lesen Sie selbst:

Scholz & Friends hat sich die Initiative #keingeldfürrechts nicht ausgedacht und sie auch nicht unterstützt. Sie ist eine Idee von Gerald Hensel, der bei uns seit vielen Jahren einen tollen Job macht. Er ist ein sehr guter Digitalstratege, ein politischer Kopf und Querdenker. Wahrscheinlich gibt es wenige Menschen in unserer Agentur, die sich nicht schon einmal mit Gerald gestritten haben (und nachher wieder vertragen). Gerald hat uns nicht um Erlaubnis gefragt, bevor er seine Initiative gestartet hat. Er hat es aus Überzeugung getan.

Wäre es meine Agentur, hätte ich gesagt: „Eher löse ich hier den Laden auf, als meinen Partner gehen zu lassen. Geschissen auf die Kohle von Opel, FAZ und Montblanc!“ Scholz & Friends hätte rolemodel für eine gesamte Branche werden können, die Tag und Nacht von sich behauptet, total hip, total modern und total international zu sein. Man sollte meinen, dass gerade einer Werbeagentur eine von Rechten losgetretene Diffamierungskampagne nicht aus der Ruhe bringen dürfte, es sei denn, dass man bislang auf dem Mars wohnte und Vorgänge wie media campaigning und social change zum ersten Mal hört. Die Gründer der Agentur sind übrigens CDU-Mitglieder oder ehemalige Redenschreiber von Helmut Kohl gewesen und unter ihren Auftraggebern befand sich eine auffallend große Anzahl von CDU geführten Ministerien und Behörden. So berichtete es der STERN vor vielen Jahren.

Natürlich schaute ich auch nach, wie die Branchenblätter berichteten und sich positionierten. Werbeindustrie, Produktfirmen, Branchendienste und Verlage sind miteinander verbunden und tauchen beim jeweils anderen als Preisträger, Anzeigenkunde, zahlender Kongressteilnehmer, Werbe-, oder Interviewpartner auf. Ich erwartete eine Diskussion über politische Einflussnahme, über Marketingstrategien von rechten Organisationen und ihrer Werbepartner. Da denkt man doch, dass gerade der Werbewirtschaft an der Verteidigung der Demokratie liegen müsste, denn nur dank Gedanken-, Meinungs- und Pressefreiheit können sie auf ihre Plakate drucken, was immer sie wollen. Ich bin manchmal so süß und naiv.

Meldet alle Jubeljahre ein Mitarbeiter einer Werbeagentur zaghaft gesellschaftspolitischen Widerspruch an, verstummen sie in ihren parfümierten Anzügen und Büffellederpantoffeln. Da wird jemand Opfer einer Kampagne. Und wird von seinen Kollegen, die eigentlich Experten in der Kampagnenwirtschaft sind, allein gelassen.

Der aggressive Kapitalismus und seine vielmals verheerende, verstörende, manipulierende und den Intellekt und die Würde des Menschen auf vielerlei Weise beleidigende Werbung, hat den Demokratieverlust gefälligst nicht auch noch zu finanzieren und zu vermarkten. Jeder hat mit seiner Stimme seine Verantwortung in seiner täglichen Arbeit wahrzunehmen. Ich erwarte das auch von Werbeagenturen, Konzernen und Verlagen.

Wie es doch anders geht, zeigten am Ende die Konsumenten. Als Roland Tichy, der Betreiber einer Kommentarplattform namens Tichys Einblick, Herausgeber des börsennotierten Unternehmens Xing AG wurde, gab es zahlreiche Proteste. Mathias Richel, Kreativdirektor der Berliner Social Media Agentur TLGG, veröffentlichte einen Post, in dem er darauf aufmerksam machte, dass Roland Tichy auf seinem Blog rechtsseltsames Zeug veröffentlichte. Er nannte nur e i n Beispiel, nämlich einen Text, in dem Linke als Geisteskranke pathologisiert werden. Dieser eine Beitrag steht beispielhaft für den Charakter einer Reihe von Meinungsbeiträgen, die auf Tichys Blog erscheinen.

Dieses Mal musste nicht derjenige gehen, der sich im Kampf gegen rechtsextreme Strömungen engagierte, sondern derjenige, der sein Geld mit Radikalkram verdiente, nämlich Roland Tichy bei XING. Er entschuldigte sich übrigens für den Text und stellte das Ganze als fürchterliches Versehen hin. Diese Woche allerdings gab er damit an, dass ihm der shitstorm jede Menge neuer Anzeigenkunden für seinen Blog beschert hätte.

Übrigens: jener Text, indem Gerald Hensel als Denunziant, Antisemit, als Kapo beschrieben wird, erschien auf welchem Blog? Richtig, bei Tichys Einblick. Geschrieben hat ihn Henryk M. Broder für Die Achse des Guten. Und wo erschien er außerdem noch? Genau. Auf pi-news.net.

Das meint man, wenn man vom neorechten Netzwerk spricht. Denn nicht jeder will den politischen oder wirtschaftlichen Aufstieg der Rechtsextremen durch Anklicken von Artikeln oder Anzeigen, Besuchen auf Webseiten oder Kauf von Produkten finanzieren. Ich will es jedenfalls nicht.

Ich bin nämlich auch der CEO und Kreativdirektor derjenigen, die keinen Bock auf Nazis haben.

Mely Kiyak

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