„Wir sind alle Boateng. Wir sind schwarz wie er, schwarz im Gesicht, in der Seele, schwarz vor Wut“

Kiyaks Theaterkolumne Nr. 54
Am 3. Januar 2013 spielte Kevin-Prince Boateng für AC Milan in einem völlig unwichtigen Spiel gegen einen italienischen Viertligisten Fußball und war wie immer extrem erfolgreich. Der Ball schien an seinem Fuß zu kleben, die Fans auf der Tribune drehten durch. Sie schrien schon eine ganze Weile rassistisches Zeug, machten Affengeräusche, die ganze fiese unoriginelle Folklore – wer sich für Fußball interessiert, weiß wovon ich spreche. Nichts Neues also. Dieses Mal aber blieb Boateng stehen, nahm den Ball und donnerte ihn mit aller Kraft in die Zuschauerränge. Genau dorthin, wo erwachsene Männer die ganze Zeit ein armseliges Schauspiel veranstalteten, das darin bestand, eine Korrelation zwischen ihrer weißen Hautfarbe und Überlegenheit zu vermuten. Boateng lief quer über den Rasen, der Schiedsrichter, der sich die ganze Zeit zu fein war, das Spiel zu unterbrechen, stolperte hilflos und lächerlich hinter dem Spieler her, versuchte ihn aufzuhalten. Boateng aber zog im Gehen sein T-Shirt aus, es war, als platzte er vor Zorn aus dem Trikot. Dann folgte ihm ein Spieler der gegnerischen Mannschaft Boateng, dann ein zweiter Spieler aus seinem eigenen Team, weitere liefen mit. Von der Zuschauertribüne brandete Applaus auf, als sich alle Spieler auf dem Rasen Boatengs Protest anschlossen und mit ihm gemeinsam den Platz verließen. Der Fernsehkommentator stammelte angesichts des Ereignisses: Incredibile, veramente incredibile! Unglaublich, wirklich unglaublich.

Man begriff die Absurdität der Situation. Tagein, tagaus werden auf den Plätzen rassistische Parolen gerufen und die Kommentatoren kommentieren das Spiel einfach weiter als wäre nichts geschehen. Wehrt sich das Opfer jedoch, weiß der Fernsehsprecher nicht, wie er das beurteilen soll und leidet unter Wortfindungsstörungen. Nicht der Rassismus stört das Spiel und seine Regeln. Sondern die Verstörung des Spielers. Boateng hatte gestört. Und dafür gab es keine Worte, keine Rituale, keine Standard-Haltung, auf die man hätte routiniert zurückgreifen können. Das Ereignis als solches verstörte nahezu die ganze Sportwelt. Am nächsten Tag schrieb die Gazetta dello Sport:
„Wir sind alle Boateng. Wir sind schwarz wie er, schwarz im Gesicht, in der Seele, schwarz vor Wut“.

Die Vereinten Nationen luden aus Anlass dieses nie zuvor Gesehenen den gebürtigen Berliner Kevin-Prince Boateng ein in Genf zu sprechen. Eine seltene und große Ehre. Boateng hielt seine Rede:

„Zu glauben, man könnte den Rassismus besiegen, indem man ihn ignoriert, ist der größte Fehler, den wir machen können. Rassismus ist nicht nur ein Thema für den History Channel. Rassismus ist real und er existiert hier und heute. Man kann ihn in den Straßen finden, bei der Arbeit oder im Fußballstadion.“ Die Vereinten Nationen ließen Applaus aufbranden. CNN, einer der größten und renommiertesten TV-Sender der USA befragte ihn in einem großen Exklusiv-Interview prominent platziert zu seinen Erfahrungen. Die ganze Welt schrieb über all das. Über den Rassismus. Wie er zu bekämpfen sei. Wen er in den Stadien betrifft. Von wem er ausgeht. Was die Sanktionen sein könnten. Fast die ganze Welt.

Ich stelle mir gerade vor, was gewesen wäre, wenn anlässlich Kevin-Prince Boatengs Rede vor den UN ein ARD Brennpunkt produziert worden wäre. Dann hätte die ARD gezeigt, dass sie dem Thema Rassismus im Sport einen hohen Stellenwert beigemessen hätte.

In Boatengs Heimat, Deutschland, erwähnte die Bildzeitung, dass der „Ghetto-Kicker“ eine Rede vor der UN hielt. Ghetto-Kicker. Boateng spielt seit seinem 7. Lebensjahr in den besten Vereinen. Er ist im Berliner Wedding geboren, seine Mutter arbeitete in einer Keksfabrik. Eine super Karriere. Eine Aufsteiger-Story sondergleichen. Aber Ghetto ist wirklich was anderes. Andere deutsche Zeitungen erinnerten daran, dass es sich bei Kevin-Prince Boateng um einen Spieler handelte, der Michael Ballack foulte, verletzte und um die Teilnahme bei der WM in Südafrika brachte und ach ja, vor der UN geredet hätte. Übrigens in einem „dunklen Dreiteiler“ (FAZ), vom „Ballack Treter zum Tugend-Apostel“ (SPIEGEL) und so weiter. So berichtete man in Deutschland. Mit dieser Häme und Verachtung und Geringschätzung. Die popelige Sport Gazetta hat in – zugegebenermaßen etwas fiebrigem Sound – den Punkt erkannt und sich positioniert. Der Spiegel mit seinem „Tugendapostel“ Zitat für einen Schwarzen, der von der UN eine Rede gegen Rassismus hält, aber auch.

Nun ist der andere Boateng, nämlich Jerôme, Halbbruder von Kevin-Prince vom AfD Politiker Alexander Gauland in eine Diskussion gezogen geworden, auf die er wahrscheinlich keine Lust hat. Dabei hätte Gauland mit jeder Silbe seiner Bemerkung, so sie so gefallen ist, Recht. Die Ghettokicker und Tugendapostel dürfen gerne Titel für Deutschland holen, aber wohnen sollen sie lieber woanders.

Deutschland kriegt sich gerade nicht ein. Einerseits weil es Unklarheit darüber gibt, ob Gauland das wirklich so gesagt hat. Und andererseits weil , ja, wieso eigentlich? Weil der Befund stimmt? Oder weil er aus falschem Mund kam? Nun halten alle Fans Schilder in die Höhe, wo drauf steht, dass man neben Jerôme Boateng wohnen will. Klar möchten viele lieber einen Fußballer aus der deutschen Nationalmannschaft neben sich wohnen wissen. Aber nicht, um seines Menschsein willens, sondern, weil er Nationalspieler ist. Wäre Boateng frisch aus Ghana mit einem Boot über das Mittelmeers passierend nach Europa gekommen, will ihn niemand in der Nachbarschaft. Untersuchungen belegen das immer wieder. So aber wird über das Thema ein Mantel des auf die AfD – Polterns gelegt. Die Boateng Angelegenheit und der Protest vor Flüchtlingsheimen sind ein und dieselbe Problematik. Wer Rassist ist, macht doch vor Fußballern nicht halt.

Mario Balotelli, der wie Boateng für AC Milan spielte, sagte einmal, als er auf die Bananen und Affengeräusche angesprochen wurde, mit denen er auf dem Platz gedemütigt wurde, dass der Rassismus auf dem Platz zu einem Gefühl der Einsamkeit führe. Weil niemand für einen aufsteht. In einem CNN-Interview wird er befragt, ob er von der FIFA Unterstützung erfahre. Darauf antwortet er: „Dazu möchte ich nichts sagen.“ Mit anderen Worten: Nein. No support.

Hat eigentlich irgendjemand von den Spitzen unserer deutschen Sportwelt irgendetwas von Belang zum Thema gehört? Irgendetwas, das nicht mit Respekt und blabla zu tun hat? Irgendetwas, mit dem man riskieren würde, dass hunderttausend zahlende Fans sich angewidert abwenden, weil ihnen irgendjemand vom DFB oder der DFL mal gehörig die Meinung pustet und sagt, dass sie Rassismus nicht duldet und auch erzählt, wo Rassismus anfängt? Stattdessen hört man aus der Sportelite, die Sache sei „geschmacklos“ und „unverantwortlich“. Es wird ein Video gesendet, wo alle Köpfe der deutschen Nationalmannschaft zu sehen sind und ein eingeblendeter Spruch „Wir sind Vielfalt“. War wohl der Minimalkonsens. Wir sind Vielfalt. Ja, ja, wir sind Deutschland. Wir sind Fußballspieler. Wir sind Männer. Na und? Etiketten für sich selbst erfinden ist Marketing, aber keine politische Aussage gegen etwas. Wenn Jogi Löw sich vor die Kameras stellen würde und sagen: Jeder, der Boateng beleidigt oder etwas gegen Mesut Özil hat, weil er zur Hadsch geganget ischt, ischt ein Mischtkerl, der bei unsere Spielen nichts verlore hat, d a s wäre mal ein Statement.

Es wünscht fröhliches Fahnengewedel
Mely Kiyak

 

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