Heute: Zündende Gedanken

Kiyaks Theater Kolumne - 52

Ist Menschen anzünden eigentlich eine europäische Spezialität? Darüber denke ich schon sehr lange nach und finde dazu weder Forschung noch Statistik. Mir fallen auf Anhieb drei Beispiele von umfangreichen Brandlegungen gegen missliebige Gesellschaftsgruppen ein. Menschen öffentlich zu verbrennen – oder stellvertretend ihre Häuser – geht ja mindestens bis ins Mittelalter zurück. Die meisten sogenannten Hexenverbrennungen fanden mehrere Jahrhunderte lang in Deutschland statt. Beziehungsweise im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, wo man Frauen, Kinder und Männer als Hexen und Hexer im Feuer tötete.

Pestpogrome gegen Juden fanden im 14. Jahrhundert in ganz Europa statt. Aber besonders gründlich in deutschsprachigen Städten wie Köln, Worms, Speyer, Mainz. Die Begründung für die Verbrennung war, dass Juden durch die Vergiftung der Brunnen für die Pest verantwortlich wären.

In den Novemberpogromen 1938 wurden Synagogen, Geschäfte und Wohnungen von Juden angezündet und markieren damit den Anfang ihrer systematischen Verfolgung und Vernichtung.
Und nun haben wir es mit einer andauernden Welle von Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime zu tun. Was übrigens kein neues Phänomen und kein „neues Ausmaß der Gewalt“ ist. So liest man es ja oft. Es begann 1980 mit der Gruppe „Deutsche Aktionsgruppen“. Sie waren verantwortlich für eine Reihe von Attentaten auf Ausländersammellager in Zirndorf, Leinfelden-Echterdingen und Lörrach. Bei einem dieser Brandanschläge auf ein Ausländerheim wurden zwei Vietnamesen getötet. Die folgenden Jahrzehnte wird sich das nicht mehr ändern.

Seit 36 Jahren werden in Deutschland kontinuierlich Flüchtlinge, Ausländer, Deutsche mit Migrationshintergrund durch Brandanschläge attackiert und getötet. Es müsste sich doch irgendjemand dafür interessieren, weshalb es diese besondere Form des politischen Widerstands gegen Fremde, Andersgläubige und vermeintliche Unheilsbringer gibt und woher sie rührt. Ist das traditionell bedingt? Kulturell? Als im sächsischen Freital eine rechtsterroristische Zelle festgenommen wurde, war die Konsequenz ein Anstieg der Brandanschläge in der Region. Das wurde ohne Verwunderung so mitgeteilt.

Wer andere Menschen töten will, könnte ja auch zu anderen Mitteln greifen. Vergiften, erschießen, erwürgen. Warum diese Brände, die schon kein Mensch mehr mitzählt?

Mich bewegt das. Nicht, weil ich das asozial finde, das ist es gewiss. Sondern weil ich darin das psychopathische Muster unserer Mitbürger verstehen will. Islamistische Attentäter beispielsweise zünden nicht die Häuser ihrer politischen Gegner an, sondern verüben Selbstmordanschläge. Das heißt, dass die Bekämpfung des Feindes immer auch mit dem Tod der eigenen Person verbunden wird. Ein Ritus, der möglicherweise auf den Märtyrerkult zurück zu gehen scheint. Wär’ doch auch mal interessant, darüber mehr zu forschen, oder?

Zurück zum Brandstifter. Bei jedem „normalen“ Mord wird die Tatwaffe untersucht. Profiler untersuchen anhand der Tatmittel das Motiv. Gelingt diese Methode auch bei rechten Brandstiftern? Was will ein Täter sagen, wenn er eine Flüchtlingsunterkunft anzündet? Die vordergründige Erklärung ist natürlich, die Unterkunft, sofern sie noch unbewohnt ist, unbewohnbar zu machen. Aber wenn sie bewohnt ist, sollen die Leute dann verbrennen oder sich nur erschrecken? Und im welchen Zusammenhang stehen die Brandanschläge zu den Fackelmärschen der Rechtsextremen, die natürlich auch eine Tradition haben?

Ich denke, es reicht nicht, immer nur betroffen zu sein. Egal, um welche Form des Terrorismus es sich handelt. Man muss die Codes knacken. Die sozialen und politischen Ursachen von Rechtsextremismus in Deutschland sind mir in weiten Teilen noch zu sehr Fremdland. Mir genügen die Erklärungen nicht. Ich will die Verzahnungen begreifen von Motiv und Tat. Aber auch von Ressentiment und Rassismus. Ich will verstehen, was genau dazu führt, dass ein Mensch abends sein warmes Nest verlässt, um einem Anderen Schaden zuzufügen. So betrachtet, möchte ich einfach nur das sagen: Die Art und Weise, wie wir über Brandanschläge gegen Flüchtlinge reden, befriedigt mich nicht. Das Handeln lasse ich mal außen vor.

Neulich erfuhr ich über Flüchtlingsgegner in Italien, die ein Heim anzündeten. Ich suchte eine Statistik, wo ich nachlesen konnte, in welchen europäischen Ländern diese Form des Protestes noch stattfindet. Ich fand keine Übersicht. Also gab ich die Länder einzeln ein und erfuhr von Brandanschlägen gegen Flüchtlinge in Italien, Norwegen und Schweden. Haben die sich das aus Deutschland abgeguckt? Handelt es sich um Nachahmung aufgrund mangelnder Vernichtungsphantasie? In der Türkei und im Libanon werden Flüchtlinge sicher nicht geliebt. Sie halten sich dort zu Millionen auf. Aber angezündet werden sie deshalb trotzdem nicht. Sie werden auf andere Weise fertig gemacht.

Es tut mir leid. Aber mein Denken kreist ständig darum. Warum, verflucht, werden sie angezündet? Und wie kann es wieder aufhören? In der Geschichte des Menschenanzündens war es immer so, dass eine Autorität das Verbrennen verdammen musste oder anders als unheilig abqualifizieren. Also in der Logik des Täters argumentieren, der sich ja ebenfalls in einem Wertesystem befindet. Irgendeine sehr deutsche Autorität müsste vielleicht mit patriotischem Pathos den Nazis erklären, dass Anzünden undeutsch ist. Dem Vaterland und der Fahne schadet, das Ansehen des Führers beschmutzt. Oder der AfD. Oder Pegida. Und was die angeblich völlig normalen Bürger betrifft – denn darum handelt es sich bei den Tätern ja – müsste irgendjemand erklären, dass die Anzünderei dazu führt, dass Steuereinnahmen langfristig steigen und Arbeitsplätze gefährdet sind. Das leuchtet Deutschen ja oft mehr ein als irgendein gefühlsduseliges Argument aus der UN Menschenrechtscharta.

Bevor jetzt wieder irgendwelche Besserwisser alles besser wissen. Ich habe mir einfach mal erlaubt laut nachzudenken, da mich das Thema – excusez moi – brennend interessiert.
Mely Kiyak

 

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