Und jetzt also Krieg. In Syrien gegen den Islamischen Staat. Mit Bomben aus der Luft. So wird es an diesem Freitag das deutsche Parlament vermutlich beschließen. Seit August letzten Jahres hat die Anti-IS Koalition mit einem Staatenverbund aus 60 Ländern, unter der Führung der USA, 6.000 Angriffe aus der Luft geflogen. Ich kenne die Bilanz dieses Einsatzes nicht, aber sagen wir so: 16 Monate lang Unmengen von tödlichem Material aus der Luft abwerfen, um Stellungen des IS und Infrastruktur zu zerstören, haben offenbar nichts gebracht. Außer, dass die Bevölkerung noch weniger Infrastruktur hat. Und überhaupt. Wenn der IS bombardiert werden soll, warum ist dann Nordsyrien das Ziel und nicht auch der Westirak? Auch da herrscht der IS. Von den 300.000 Opfern in Syrien, meint die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, seien lediglich 1.500 Opfer dem IS zuzurechnen. Für die anderen Opfer trüge Assad die Verantwortung. Unter anderem mit seinen Fassbomben und Giftgasanschlägen. In der westlichen Presse heißt es einvernehmlich, dass der Giftgasanschlag in Damaskus im Jahr 2013 zu den schlimmsten Anschlägen des 21. Jahrhunderts zählt. Die New York Times schrieb bereits 2014, dass Assad mit dem IS Ölgeschäfte mache. Die Meldung ist ein Jahr alt und seitdem werden die Vorwürfe immer wieder durch Beobachter verschiedener Länder wiederholt. Der Ölverkauf ist die Haupteinnahmequelle des IS. Wer dessen Öl kauft, kann nicht mehr als Kriegsgegner bezeichnet werden, sondern allenfalls als Handelspartner. Täglich verkaufe der IS laut Financial Times Öl im Wert von 1,53 Millionen Dollar. Interessant wäre eine Grafik, die penibel die Liste der Firmen aufzählt, die Öl von Raffinerien beziehen, die zuvor von syrischen und irakischen Mittelsmännern beliefert wurden. Unter Umständen finden sich darauf Unternehmen, die zu Ländern gehören, denen wir unser vollstes Vertrauen aussprechen. Beispielsweise der NATO-Partner Türkei. Warum also nicht auch die Türkei bombardieren?
Assads Propaganda, dass die Syrer vor dem IS fliehen wirkt auch im Westen. So sehr, dass man nun weiter Krieg gegen den IS führen will und immer noch nicht gegen Assad. In Syrien selbst wird man sicher schwerlich Männer finden, die bereit sind in einem Militärbündnis gemeinsam mit dem Westen und Assad gegen den IS zu kämpfen. Das Problem der syrischen Opposition war und ist Assad. Wie muss das für die Syrer im Land wirken, wenn sie wissen, dass ihre Sicherheit demnächst mit einer neuen Kriegsstrategie angeführt von Frankreich bedroht wird. Sollte der IS weg sein (was mit Krieg allein n i e m a l s geschehen wird, sondern nur mit Politik), ist immer aber noch Assad da.
Auch verrückt übrigens: Wir haben zehntausende von Syrern in Deutschland und niemand befragt diese Leute. Es müssten doch politische Stiftungen und Wissenschaftler und Professoren die Aufnahmelager stürmen und evaluieren, analysieren, Daten erheben, Kriegsschäden dokumentieren, fotografieren und so weiter. Wir müssten doch Tag und Nacht diese Flüchtlinge befragen. Aus welcher Provinz kommst du? Wann wurde sie bombardiert? Von wem? Wer ist zurück geblieben? Kann der erzählen? Habt ihr Kontakte? Können wir bei der Kontaktaufnahme helfen? Mit Skype, mit Internet, mit egal was? Denn Journalisten befinden sich kaum noch in Syrien. Die syrischen Flüchtlinge sind jetzt unsere politischen Korrespondenten. Wir aber haben Angst, dass sie die Kopftücher nicht ablegen werden und ihre Töchter nicht in den Schwimmunterricht schicken werden. Das ist die Ebene, auf der wir die Flüchtlinge betrachten. Als Idioten, denen man Zivilisation beibringen muss. Es gab eine Zeit in Aleppo, da wurde geschwommen, getanzt und gevögelt. Wäre in Syrien kein Krieg, gäbe es dort heute auch Yoga, Glutenunverträglichkeit und Wochenendkurse für Achtsamkeit.
Dann folgte der zweite Anschlag in Paris. Und der hat, das muss man einfach so sagen, Hollande, diesem glibbschigen Politiker, wahrscheinlich seine politische Zukunft gesichert. Denn endlich konnte dieser das tun, was man ihm immer als Defizit vorwarf: Den Staat als starkes, handelndes Instrument präparieren, mit einem resoluten Führer vorneweg und allem dazu gehörenden Firlefanz. Trikolore schwenken, Moslemhass schürenund Banlieues aufräumen. Danach sehnen sich die Franzosen ja schon seit einer ganzen Weile, wie der Zuwachs des Front National zeigt. Deutschlands Unterstützung für Frankreich gibt der französischen Politik eine interessante neue Wendung. Dass dann irgendwann noch ein Krieg geführt wird, jetzt wo alle den Überblick verloren haben, das ist dann einfach egal. Von den 8 Millionen im Land gebliebenen Syrern werden nicht mehr viele Tausende von Dollar aufbringen können, um uns in Europa weiter zu belästigen. Im Krieg flieht ja immer nur die Ober- und Mittelschicht, nie aber die Unterschicht. Und wenn Europa sich nicht dumm anstellt und das Welternährungsprogramm finanziell wieder ausreichend ausstattet, bleiben die Syrer auch in den Flüchtlingslagern rund um Syrien und laufen nicht einfach weg. Was ja vielerorts auch als Zumutung begriffen wird. Flüchtlinge, die ihre Lager verlassen, weil sie zu erfrieren oder zu verhungern drohen, stellen in den Augen vieler auch schon wieder eine Menschenrechtsverletzung dar. Nicht an den Flüchtlingen, sondern an den Europäern. Weil ihr Wohlstand gefährdet ist.
Dabei kann man es auch anders betrachten. Nämlich betriebswirtschaftlich. Jeder Krieg oder bewaffnete Konflikt, der in der Welt geführt wird, bringt kolossale Steuereinnahmen durch eine florierende Waffenindustrie, die sich derzeit in Deutschlands Süden befindet. Jeder deutsche Bundesbürger profitiert von diesen Einnahmen. Denn ein Teil des Gewinnes (längst nicht alles, das zeigen die Milliardenverluste, die uns durch deutsche Steuerflüchtlinge entgehen) landen in unserer deutschen Infrastruktur und unserem Gemeinwesen. Wir profitieren vom Waffenexport. Das ist nicht schön und nicht elegant, aber so ist es. Aber das gilt auch für unsere Pharmaindustrie. Je mehr Waffenexporte, desto mehr Opfer, desto höher der Bedarf an Medikamenten. Alles hängt mit allem zusammen. So weit, so banal.
Demnächst also Deutschlands Luftwaffe über Syrien. In der Zeitung lese ich Artikel, in denen besorgt gefragt wird, ob denn die Weihnachtsmärkte sicher seien. Die besorgte Erkundigung danach, ob die syrischen Kinder, die in Syrien gefangen sind, noch sicher sind, lese ich nirgends. Es geht immer um unsere Lebkuchenstände, unsere Glühweintrinker oder, wie es so schön heißt, unsere Art zu leben. Tja, ich würde ja immer sagen, unsere Art zu leben trägt einen großen Teil der Verantwortung an der Weltwirtschaftslage und das daran anknüpfende politische Desaster.
Mely Kiyak
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