Musels machen aus Deutschen Döner

»3500 Prepper bereiten sich auf den Tag X vor«. So las ich es im aktuellen Spiegel, der gemeinsam mit der Berliner Tageszeitung taz diese sehr besondere Szene kontinuierlich und akribisch beobachtet und darüber berichtet. Wenn ich irgendwo lese, dass sich Leute auf etwas vorbereiten, kriege ich immer Panik. Was, wer, wo?? Wieso hat mir keiner Bescheid gesagt, ich will mich auch vorbereiten – so ungefähr sind meine Gedanken. Ist wahrscheinlich ein menschlicher Reflex. Hortet einer, horten alle.

Ich erlaube mir manchmal beim Einkaufen den Spaß, dass ich mich zu einem Angebot vordrängele, ganz viele Produkte auf einmal in den Wagen lege und dann beobachte, was passiert. Es passiert nämlich immer das Gleiche. In unserem Aldimarkt in der Markthalle funktioniert das vor allem dann besonders gut, wenn ein Onkel Ömer in der Nähe ist. Immer, wirklich immer, greift Onkel Ömer (vielleicht heißt er auch Onkel Ferhat oder Onkel Kenan. Ich meine diesen Typ türkischer Herr, perfekt rasiert, perfekt duftend, perfekt gekleidet, siebzig Jahre aufwärts) zum Handy und ruft seine Ehefrau Hayriye an. In den Hörer flüstert er dann aufgeregt auf Türkisch: »Hayriye, Hayriye! Hier hat gerade eine Frau ganz viele Baumwoll-Slips für 4,99 in den Wagen gepackt. Soll ich mitbringen?« Tante Hayriye stellt wohl Nachfragen, denn Onkel Ömer gibt die Details durch: »Säääälliipp. Angäbot, dörtdoksandokuz.«

Der Tag X, »das sollte wohl mittlerweile jedem Dussel klar geworden sein«, so beschreiben es die Prepper in ihren Foren des russischen Internetdienstes VK (ein beliebtes Netzwerk, in dem sich deutsche Rechtsextreme treffen), sei jener Zeitpunkt, an dem »muslimische Ausländer aus den Deutschen Dönerfleisch machen«. Weiter schreiben sie, dass es zu einem Krieg zwischen »Musels und Einheimischen kommen wird«. Die Prepper bereiten sich also auf den Tag vor, an dem Muslime einen Angriffskrieg gegen die christlichen Deutschen begehen werden. Die Prepper wollen sich natürlich nicht kampflos ergeben.

Dafür horten die »Tag X-Prepper« Munition, Waffen, Funkgeräte, aber auch Hühneraugenpflaster und Katenspeck. Die Prepper-Listen lesen sich wie Vorbereitungen für einen bewaffneten Campingausflug. Sie sind bereits das zweite Netzwerk, das innerhalb kurzer Zeit aufgedeckt worden ist. Das erste nennt sich Nordkreuz, eine Prepper-Terrorgruppe aus Mecklenburg-Vorpommern.

Die Nordkreuz–Leute haben sich im Gegensatz zu den Tag-X-Preppern nicht organisiert, um sich zu wehren, sondern um anzugreifen. Deshalb bestellten sie auch Leichensäcke und Löschkalk. Gerade läuft in Schwerin ein Prozess gegen eines ihrer mutmaßlichen Mitglieder. Der SEK-Beamte und ausgebildete Scharfschütze Marko G. hortete Waffen und 31.000 Schuss Munition. Der Richter gab gleich zu Beginn des ersten Prozesstags bekannt, dass es ausschließlich um den Waffenbesitz gehen werde, nicht aber um die Frage der politischen Ausrichtung. Klingt nach einem besonders interessanten Verständnis von Rechtsterror in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Szene ist heterogen. Jene, die für den vermeintlichen Verteidigungsfall gerüstet sein wollen, mischen sich mit denen, die es kaum erwarten können, anzugreifen. Es handelt sich bei ihnen keineswegs um Arbeitslose mit Tagesfreizeit. Es sind Menschen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, sich um Waffenscheine bemühen, über Geld, Möglichkeiten und Kontakte verfügen. Sie besetzen zum Teil wichtige Posten bei der Polizei, sind Rechtsanwälte oder andere angesehene Mitglieder der Gesellschaft.

»Prepper« ist ein verharmlosender und verniedlichender Begriff. Klingt nach Vorsorge, Prophylaxe und Versicherung. Nach Tante Hedwig und sieben Gurkengläsern im Keller. Nach ein paar Kerzen in der Küchenschublade, für den Fall, dass Stromausfall ist.

In einer Expertenkommission in Mecklenburg-Vorpommern wurde darüber gegrübelt, wie man die Prepper bekämpfen kann. Hahahaha!!! Quatsch, natürlich nicht! Man grübelte darüber, ob man diese Leute »Prepper«, »Prepper Plus«, »Black Prepper« oder »RadiPre« nennen soll. Man kann den Behörden also nicht vorwerfen, sie würden nichts tun. Der für diese Themen zuständige CDU-Innenminister heißt übrigens Lorenz Caffier. Am 25. November um 18.30 Uhr hat er in den Rathaussaal in Grevesmühlen zu einer Sondersprechstunde eingeladen, wo er bedrohte Flüchtlinge, Muslime, Migranten und Journalisten darüber informieren will, wie er sein Bundesland entnazifizieren wird. Hahahaha!!! Quatsch, natürlich nicht! Er bietet eines von diesen Bürgerforen an, die jetzt so modern sind. Ja richtig, diese Foren, wo besorgte Bürger ihre Besorgnis äußern können. »Erzählen Sie mir, was Sie politisch bewegt und stellen Sie mir Ihre ganz persönlichen Fragen in einer offenen Gesprächsrunde, damit wir Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam weiter voran bringen.« Grevesmühlen liegt ein paar Kilometer von der Ostsee entfernt. Da, wo sich Migranten mit dunkler Hautfarbe nicht hintrauen. Da, wo Neonazis am Strand SS-Zeichen in den Sand ritzen und im Hinterland auf Volksfesten mit Kindern Ballspiele veranstalten. Wo die Ferienvillen in erster Reihe »Germania« heißen – und wohl damit man es auch richtig einordnet – das Hausschild vorsichtshalber in gebrochener Schrift gesetzt wurde.

Hypothese: Wenn bekannt geworden wäre, dass sich 3500 deutsche Muslime aus der ganz normalen Bürgerschaft (ehemalige Bundeswehrangehörige, Personalberater usw.) zu Tausenden organisieren, Waffen und Munition während des Dienstes klauen, Feindeslisten anfertigen würden, auf denen vermehrt CDU-Anhänger, Publizisten und Kolumnisten von liberalkonservativen Zeitungen stünden, – insgesamt 25.000 Namen (Nordkreuz führt eine Liste mit 25.000 Namen von Linken, Journalisten, Migranten, Muslimen und Politkern) – dann würde in diesem Land kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Dann würde hier Ausnahmezustand herrschen, oder? Der neueste Vorstoß der CDU ist aber ein Kopftuchverbot in der Kita. Hat schon einmal jemand kleine Mädchen mit Kopftuch in der Kita gesehen? Ist das das Problem der Stunde?

Würde es sich bei diesen Deutschen um radikale Islamisten handeln, würde man sie Schläfer nennen. Sie sind aber deutsche Christen, also nennt man sie Prepper, Einzelgänger, Besorgte, Abgehängte, Verirrte, Verrückte, Männer ohne Sexualkontakte, Unpolitische und und und.

Sechs Journalisten haben die Spiegel–Geschichte »Eine Uzi für den Tag X« recherchiert. Verstehen Sie jetzt, liebe Theaterkolumnen-Abonnentenschaft, warum die Zeitungen voll sind mit Kolumnen und Meinungsbeiträgen? Weil es für eine Tageszeitung billiger ist, Kolumnisten zu engagieren, als sechs Kollegen zu beschäftigen, von denen sich einer ins Netzwerk einarbeitet, der zweite bei der Polizei nachfragt, der dritte sich vor Ort einschleicht, der vierte die Ohren spitzt, der fünfte..

Ich spüre, dass diese Informationen lediglich einen kleinen Teil der Bevölkerung beunruhigen. Andernfalls würden die Deutschen nicht schon wieder Faschisten in die Parlamente wählen. Es gibt aber keine Sondersendungen, keine ARD–Brennpunkte, geschweige denn Ratgeber-Formate. Hier wird ein Bürgerkrieg gegen Muslime, Migranten, Flüchtlinge, Publizisten, Demokraten vorbereitet. Da will man als Muslim, Migrant, Flüchtling, Publizist, Demokrat informiert werden.

Was ist bei einer Schusswunde zu tun? Wie kann man blutige Wunden schnell versorgen? Wo können Visa beantragt werden, wenn eine akute Fluchtsituation herrscht? Nicht alle deutschen Muslime haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Wenn in Mecklenburg-Vorpommern der Ernstfall ausgerufen wird, können die Bedrohten nicht mit dem Schiff nach Polen oder Dänemark, weil sie von der Freizügigkeit im Schengenraum ausgenommen sind. Die Polizei können sie nicht anrufen, denn dort haben sich die Prepper organisiert. Klagen können sie auch nicht, denn auch unter Staatsanwälten gibt es solche, die Migranten und Muslime als Gefahr betrachten. Eine umfangreiche Infoveranstaltung scheint mir vonnöten. Vielleicht zwischen der Lindenstraße und den Lottozahlen.

Mich interessiert zum Beispiel immer, ob ich die Kohle von meinem Festgeldkonto problemlos ins Ausland transferieren kann, damit ich auf meiner Flucht flüssig bin. Was mich ebenfalls beschäftigt ist die Frage, ob es sich für mich lohnt weiter in die Deutsche Rentenversicherung einzuzahlen. Wenn ich mich gezwungen sehe, zu fliehen, kann ich meine eingezahlten Beiträge aus Kulanz zurückerhalten? Kriege ich von der Krankenkasse Auslandsversicherungsscheine, wenn ich eine Weile in Ungarn untertauche? Hahahaha!!! Quatsch! Nach Ungarn kann ich nicht. Nach Polen auch nicht. Dänemark, Frankreich, Finnland, Österreich, Schweiz – eigentlich sind alle Länder rund um Deutschland ebenfalls kurz vor der Machtübernahme. Nicht, dass Deutschland sich langfristig als Gefängnis entpuppt? Die Alliierten sind ja leider auch alle weg. Seit die nicht mehr vor Ort sind, geht es hier, demokratisch betrachtet, stetig bergab. Jetzt muss ich erst einmal einen Schluck Wasser trinken. Habe ich mich doch tatsächlich selber kirre gemacht.

Herzlich grüßt
Ihre Theaterkolumnistin
Mely Kiyak

Foto: © natika/123RF.COM | Gestaltung: Lena Wessel

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