Bak sen, bak sen, Mensch’miş!

Mely Kiyaks Theater Kolumne

Memo, einer der beiden Mehmets aus dem Schauspiel-Ensemble des Gorki Theaters, hat die seltsame Angewohnheit, seine Ansichten zum Leben mit seiner Kleidung auszudrücken. Wenn ich ihn treffe, laufe ich einmal um ihn herum und versuche herauszufinden, wofür oder wogegen er ist. Ich schwöre, ich habe ihn noch nie unbedruckte Sachen tragen gesehen. „Oğlum, bist Du eine Litfaßsäule oder was?“, frage ich ihn dann. Vielleicht – der Gedanke kommt mir gerade so in den Sinn – könnte Kiyaks Theater Kolumne auch auf seinem Körper funktionieren. Ich selber bin nämlich nicht in den sozialen Netzwerken vertreten. Instagram, Pinterest, Minterest… Mehmet als Facebook, das wär’s doch.  Fairtrade, ohne Plastik, Parabene, Silikone, wasweißich, nachhaltig halt, Memobook. Memo flippt total auf so etwas.

Ich brachte ihm vor vielen Jahren aus Kurdistan ein T-Shirt mit, auf dem „Kurdistan“ steht. Mir gefiel die Idee nämlich ganz gut, einen Türken in ein Kurdistan T-Shirt zu stecken. Ich dachte, hadi be anasını sattığım – zwangsassimiliert der König im karierten Jackett in der Türkei die Minderheiten, assimiliere ich einfach den schwäbischen Türken! „Schwäbischer Türke“ ist übrigens sein Etikett, nicht meins. Für mich ist er einfach Memo, der mit den schlechten Klamotten. Wenn mir einer sagt, bitte nenne mich so, dann tue ich das. Wer bin ich, dass ich die identitätspolitischen Bedürfnisse der Gruppen missachte?

Der Witz ist, Memo liebt sein T-Shirt. In rot-gelb-grünen Versalien steht darauf KURDISTAN, und – ganz wichtig – das Nike Symbol, aber falsch herum. Die Kurden sind vermutlich das einzige Volk der Welt, das den Kapitalismus lebt und vom Sozialismus träumt. Ich verstehe das. Wer auch nur einen einzigen beschissenen Tag im Karstadt verbracht hat, wer an einem Samstagnachmittag einem Parkhaus entkommen ist, wer im food corner eines Einkaufszentrums bei dem Versuch sich zu ernähren knapp dem Tod entronnen ist, der ist reif dafür Privateigentum zu verdammen. Das T-Shirt kaufte ich übrigens in einer alten Karawanserei in Diyarbakır, produziert wurde es vom Brudervolk in China.

Er trug jedenfalls das T-Shirt, dessen Aufschrift an sich genauso wenig als Slogan taugt, wie wenn da „Katalonien“ oder „Kit Kat Club“ drauf gestanden hätte. Es ist immer der Kontext, der aus dem Wort eine Programmatik macht. Die Verwandlung vom privaten zum politischen Körper hängt auch davon ab, wo man etwas trägt. Und was man noch trägt. Er trug einen schlecht sitzenden Anzug, der über und über mit bunten Katzen bedruckt war. Der Katzenanzug mutete vollkommen irre, geradezu psychedelisch an. Wie eine Scud-Rakete schoss mir ’ne Sirene aus dem Schädel: „Ist das kurdische Volk eine Ansammlung von Muschis oder was, lan? Was soll der Scheiß? Deine Katze ist eine Katze!“

Wie konnte ein einzelner Mann auf einem einzigen Körper so viel gleichzeitig falsch machen? Über seine Schuhe, Strümpfe und so weiter, will ich gar nicht erst anfangen zu sprechen. Er amüsierte sich über mich, wie immer eigentlich, wenn ich ihm etwas Wichtiges über das Leben beizubringen versuche. Ein bisschen frech wurde er auch. „Warum regst Du Dich so auf? Gibt es in Kurdistan keine Menschenrechte für Katzen?“

Ich sagte: „Hör zu, ich bin Menschenrechtskolumnistin. Ich setze mich für die Freiheit der Völker ein. Ich lasse es nicht zu, dass Du ein Volk, das weder ein Land noch eine Lobby hat, mit imperialistischem Katzencontent diskreditierst. Zieh das aus! Hier vor meinen Augen. Und dann verbrenne den Anzug.“ Er lehnte die Forderung ab. Sein Argument lautete, dass er ein freier Bürger sei und dass er tragen könne, was er wolle. Er befände sich in einer Demokratie. Ich dachte, meine Güte, nicht einmal eine Minute lang hält es ein schwäbischer Türke aus, wenn man seine Kleidung, seine Symbole, seine Freiheit zensiert. Ich sagte: „Ohne die Kurden wäre der gesamte Nahe Osten im Arsch. Keine Weltgemeinschaft der Welt hatte Lust eine Handvoll kaputter Islamisten aus dem Weg zu räumen. Die ganzen Frauenrechtler von Amerika bis Zypern hatten auf einmal keine Augen und Ohren für die Frauen, die live unter unserer Mitwisserschaft erniedrigt wurden. Minderjährige Mädchen mussten sexuelle Folter erleiden. Wir haben es alle gewusst. Nur George Clooneys Ehefrau hört nicht auf darüber zu sprechen. Und wenn Amal nicht seine Frau wäre, wüssten wir nicht, dass sie neulich vor den UN forderte, dass endlich Urteile über diese Mörder gefällt werden müssen. Ich las es in der Bunten! Sie trug nämlich einen eleganten Einteiler.“

Memo wurde ganz blass. „Mensch Mely, beruhige Dich. Es sind doch nur Katzen“.

Ich schaute ihn an und sagte: „Tut mir leid. Weiß auch nicht, warum ich so dünnhäutig bin. Die ganze Welt ist im Arsch, und Du und ich haben auch nichts Anständiges gelernt, das irgendwem helfen könnte.“

Memo nahm mich in den Arm. Ich vergrub mein Gesicht in seinen Katzen. Ich murmelte: „Entschuldige bitte. Ich bin auch nur ein Mensch“. Daraufhin lachte Memo so laut, dass sein ganzer Körper wackelte und die Katzen schamlos enthemmt über Kurdistan tanzten. Unter schallendem Gelächter sagte er: „Bak sen, bak sen. Mensch’miş!“

„Krieg dich ein, kedili kıro“, antwortete ich Memo: „Natürlich Mensch’im“.*

Es grüßt herzlich

Ihre Theaterkolumnistin Mely Kiyak

*Wie kann man Memos Späßchen auf meine Kosten eigentlich sinnig übersetzen? Gar nicht. Die Kunstsprache, die Memo und ich verwenden, besteht daraus, dass wir die deutsche Vokabel à la turca beugen. Wir konjugieren türkisch und hängen die türkischen Endungen an die deutschen Wörter.

Er hat es in etwa so gemeint: „Hört, hört, sie will ein Mensch sein!“ Und ich antwortete: „Ja, Du Tölpel mit Katzenhintergrund. Ich bin ein Mensch. Das ist für Sie als Mitglieder der monolingualen, non-bi-plauderigen Mehrheitsgesellschaft womöglich kein Stück witzig. Warum? Weil der Witz in der Übersetzung verloren geht. Im Türkischen benutzt man die Formulierung „Hört, hört (Bak sen, bak sen)..“ nur, wenn einer etwas Ungeheuerliches, Aufsehen erregendes über sich behauptet. Außerdem muss man dabei einen überheblichen Tonfall einnehmen und sehr blöd gucken. Dadurch setzt man den anderen auf effektive Weise herab. Immer noch nicht witzig? Bleiben Sie stark und halten Sie es bitte aus.  Integration hat – ich habe nie etwas anderes behauptet – ihre Grenzen.

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Mely Kiyaks Theater Kolumne gibt es seit 2013. Alle 14 Tage kommentiert die Schriftstellerin und Publizistin Mely Kiyak radikal unabhängig das Weltgeschehen. Die Kolumne kann man auch mit dem
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