Dann lieber Friseursalonkolumnistin

Man geht doch davon aus, wenn man neuerdings Theaterkolumnistin ist, dass man sein Leben künftig mit Schauspielern verbringen wird. Und damit fängt bereits die erste Enttäuschung an. Dass man im künstlerischen Betriebsbüro fragen muss, ob man sich mal einen Schauspieler nehmen, rausgehen und später wieder zurück geben darf. Das KBB, die Datingagentur des Theaters, teilt mit, dass Herr Soundso bis dann und dann in der Probe für das eine Stück steckt und dann in der nächsten Probe, und so geht es den Tag hindurch und insofern –  nein – ich hatte noch keine Gelegenheit, mit einem künftigen Theaterstar im Lustgarten unter den Linden zu flanieren. Alles und jeden bekommt man im Haus tagsüber zu sehen, nur keine Schauspieler. So gesehen, wäre ich natürlich lieber Friseursalonkolumnistin,

weil Coiffeure mehr Zeit hätten und meine Haare wären auch viel schöner.

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Die Vereinigung zwischen Türken und Ossis hat hervorragend geklappt.
„Ossi“ Osman Tok, Fundraiser (was immer das ist) und die Kolumnistin an ihrem ersten Arbeitstag im Gorki.

 

Was zeichnet die Theaterkolumnerei aus?
Sicher die sorgfältige Dosierung des Fachvokabulars. Was in Österreich „der Herr Künstler“ ist, ist bei uns der gute alte Absolvent der Hochschule für Darstellende Künste. Nationen- und kulturunabhängig gilt aber stets folgende Sprachregelung: Nie befindet sich ein Schauspieler in der Probe zu Henrik Ibsens Theaterstück „Die Wildente“. Vielmehr „probiert er die Wildente“. Was man nun nicht machen darf, wäre die ridiküle Erwiderung: „Und? Schmeckt’s?“.

Eine Nebenbemerkung zum Begriff Künstler. Während der Wiener Festwochen ließ Christoph Schlingensief einen Container mit Asylbewerbern vor der Oper aufstellen. Es war das Jahr 2000, die rechtspopulistische FPÖ schaffte es in die Regierungskoalition. Man war eingeladen in den Container zu gehen, sich einen Asylbewerber auszusuchen, eine Telefonnummer zu wählen und mit diesem Anruf die Abschiebung zu beschleunigen.

Zwei Tage lang hing über der Theateraktion das Plakat: „Ausländer raus“. Passanten kamen vorbei und ärgerten sich nicht etwa über die FPÖ, sondern darüber, dass der schöne Opernplatz verschandelt worden sei. Niemand fragte nach den Schicksalen der Flüchtlinge. Immer wieder formierte sich eine erregte Menschenmenge und beschimpfte Schlingensief. Eine ältere Dame brüllte ungehalten: „Du deutsche Sau, Du!“. In ihrem Entsetzen und Hass auf den Regisseur, als Superlativ aller Superlative und finalen rhetorischen Dolchstoß, schrie die grauhaarige Dame bevor sie vollends die Fassung verlor, schrill und hysterisch: „Du Künstler!“

 

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Ich schlage nun keinen Bogen von der Wiener Aktion zu unseren Hungerstreikenden Flüchtlingen am Brandenburger Tor von vor wenigen Wochen, der Lampedusa Schande, die wie eine billig produzierte Seifenoper nach immer gleicher Dramaturgie eine Folge nach der nächsten versendet, der Alternative für Deutschland und so fort – sensible Geister erkennen Kontinuitäten und Parallelitäten und wissen, dass Flüchtlinge mehr denn je auf die Theaterbühne gehören. Warum das Schicksal von Menschen nachspielen, die wenige Kilometer Luftlinie von den bedeutenden deutschen Bühnen der Hauptstadt das Stück ihres Lebens über Flucht und Vertreibung im Original erleben?

Ich möchte etwas feierlicher werden, denn schließlich handelt es sich um die Eröffnungskolumne eines besonderen Theaters. Kommen wir deshalb von der Aktion „Ausländer raus“ zur Aktion „Ausländer rein“.

In den letzten Wochen wurde ich mehrmals gefragt, was es auf sich hätte, mit diesem Theater, das ich künftig keck, kritisch und kaltblütig begleiten und beschreiben werde.

Versuch einer Antwort: Ich kenne keine deutsche Bühne, die nach einem Ausländer, nämlich Maxim Gorki, benannt ist und wo ausländische Etiketten kleben, komme ich auf den Plan, um unter anderem die Frage zu klären:„War Gorki Kanacke?“

 

Laut Lexikon „erkennt man Kanacken am südländischen Aussehen“ und auf Fotos sieht der Russe mit seinem Osmanenschnauzer original wie mein Onkel aus – Erstens. Zweitens möchte ich unbedingt dabei sein, wenn das erste Staatstheater Deutschlands, in der Geschichte der Staatstheater Deutschlands von unserer Landesregierung mit einem Team bestehend aus einem schwulen Bayern und einem Türken besetzt wird. Aus Gründen des Datenschutzes darf ich an dieser Stelle die Attribute den beiden Intendanten nicht zuordnen und es ist doch auch unerheblich, ob Jens Hillje ein Türke ist und Shermin Langhoff ein schwuler Bajuware.

Die nervöse Frage, die man sich bereits in Theaterkreisen stellt, lautet: Kann ein solches Haus eine schwule Nina Hoss hervor bringen, beziehungsweise einen türkischen Lars Eidinger?

Natürlich wird ein solches Theater ein ganz schön anderes Theater sein, als alle Theater, die man bislang in Deutschland kannte. Die beiden Intendanten waren noch keine drei Tage am Haus, da wurden in der Theaterkantine am Festungsgraben bereits Bulgursalat, Schafskäseyoghurt und Wassermelone serviert. In der Kantine des Berliner Ensembles gibt es nach wie vor Buletten. Im Deutschen Theater habe ich außer Brezeln in der Theaterpause und Schokolinsen an der Weinbar noch nie etwas anderes zu essen bekommen. Ich denke, deutlicher kann der Clash of Civilisation nicht illustriert werden.

Eine Beschneidung haben die beiden Intendanten auch schon vornehmen lassen. Maxim Gorki Theater heißt jetzt einfach nur Gorki, und Gott gebe dem Russen ewige Seelenruhe,

an dem bisschen Nachnamen, das dem armen Namensgeber blieb, haben sie sich auch noch ausgetobt, und, als würden sie einem Huhn den Hals umdrehen, das R im Namen verdreht.

Theater ist eben nicht nur, wenn abends auf der Bühne ein Stück gespielt wird, Theater ist immer.

Ich werde vierzehntägig berichten.

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